Planung
Licht 4 | 2022

Transformation in die Gegenwart

Ein neuer Radleuchter für den Dom zu Magdeburg

Die Beleuchtung sakraler Räume bedarf neben den lichtgestalterischen und lichttechnischen Planungen hinaus, insbesondere einer Auseinandersetzung mit der Historie, Theologie und Liturgie – also zwischen Inhalt und Licht. Für den Dom zu Magdeburg wurde ein neuer Radleuchter geschaffen, der christliche Elemente aufgreift und den gotischen Raum in ein andächtiges, stimmungsvolles Licht taucht.

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Abb.: Der neue Radleuchter im Hohen Chor mit Durchblick ins Gewölbe. Dieser stellt in seiner theologisch-inhaltlichen Gestaltung und Raumwirkung den Höhepunkt dar. Im Radleuchter geben je acht Strahler das Licht nach unten und oben ab. Carsten Sußmann

Für ausreichend Licht in einem Raum zu sorgen, ist eine sehr elementare und im weiteren Verlauf auch eine technische und gestalterische Aufgabe. Besonders in herausgehobenen Räumen ist dies in jedem Einzelfall vom Lichtplaner, Designer und Architekten zu prüfen. Licht in Verbindung mit dem Leuchtkörper prägt wie kaum ein anderes Gestaltungselement die Wirkung und Ausstrahlung eines Raumes. Wie nähert man sich aber diesem Thema Licht und der Beleuchtung in einem sakralen Raum? Wenn man sich damit beschäftigt, wird sehr schnell deutlich, dass eine gestalterische und lichttechnische Betrachtung alleine nicht zu einer befriedigenden Lösung führt. Vielmehr muss die Frage der Bedeutung von Licht im Kontext der Theologie und Liturgie in einer gotischen Kathedrale erst einmal verstanden werden.

Abb.: Der Radleuchter mit Blick in das Mittelschiff nach Westen. Für das Rad wurden Edelstahl und Glas verwendet. Bei der Beleuchtung der Gläser lassen sich die entsprechenden liturgischen Farben anwählen. Carsten Sußmann
Abb.: Die in der Bibel beschriebenen vier Himmelsrichtungen werden in der Glasgestaltung symbolhaft wiedergegeben. Nach Norden sind es Fische – das geheime Zeichen der ersten Christen. Alle Tore verbinden Bibelworte, ausgeführt als Lasergravur mit altgriechischen und hebräischen Schriftzeichen. Carsten Sußmann

Am Anfang war das Licht

Der Dom zu Magdeburg wurde zwischen 1208 und 1520 errichtet und gilt im deutschsprachigen Raum als der früheste Bau einer gotischen Kathedrale, die außerdem zum Ausklang der Gotik mit seinem 100 m hoch aufragenden Turmpaar im Westen fertiggestellt werden konnte, noch bevor die Reformation sich durchsetzte und damit das Ende des Erzstifts, gegründet in der Zeit Kaiser Otto I. im Jahre 968, einläutete.

Grundsätzlich haben wir es bei einer Kathedrale, hier für das Erzstift Magdeburg, mit einer Kirche als »Himmelsburg« zu tun. Denn die Menschen im Mittelalter nahmen besonders den Innenraum als Himmlisches Jerusalem wahr. Dabei beeinflusste das durch ein farbiges Fenster einströmende Licht in seiner Transzendenz diese Wirkung. Das Kerzenlicht und die Gesänge in der Liturgie verstärkten diese Bedeutung. Ein Beleg, dass es im Hohen Chor des Domes bereits im Mittelalter einen Radleuchter gegeben hat, wie bspw. in anderen Kathedralen (Aachen, Hildesheim), gibt es in Magdeburg nicht. Bis in die Gegenwart existierten im Dom unterschiedliche Konzepte für eine Ausleuchtung. Im 19. Jahrhundert vor dem Einzug der Elektrizität gab es in den Arkaden zwischen Mittelschiff und Seitenschiffen eine mit Gas betriebene Beleuchtung über Kandelaber. Erst nach dem I. Weltkrieg (1925) bekam der Dom einen Elektroanschluss, so dass die Kandelaber umgerüstet werden konnten.

Mit der Beseitigung von Kriegsschäden nach dem Ende des II. Weltkrieges, versuchte man aus denkmalpflegerischer Sicht in den 1950er Jahren dem Raum mit einer sehr zurückhaltenden Pendelbeleuchtung, die lediglich aus der Kabelabhängung und einer Glühlampe in einer Fassung bestand, gerecht zu werden. Diese Installation und Lichtwirkung kam an ihre Grenzen, so dass bereits in den 1970er und 1980er Jahren Ideen für ein neues Lichtkonzept diskutiert wurden, deren Ergebnisse aus unterschiedlichen Gründen nicht umgesetzt werden konnten. Eine Arbeitsgruppe zusammen mit der Domgemeinde, der Denkmalpflege und der für den Dom zuständigen Dombauleitung startete bereits 2015, später dann 2018, erneut eine Aufgabenstellung für ein Lichtkonzept des gesamten Innenraumes. Durch das Architekturbüro sußmann + sußmann, zusammen mit dem Büro für Innenarchitektur und Design, Albrecht von Kirchbach, Erfurt, wurde eine Zielstellung mit entsprechenden Bedingungen für ein Beleuchtungskonzept entwickelt. Es entstand ein Konzept, in dem sowohl die sakrale Bedeutung des Raumes, der gotische Raum in seiner Architektur, wie auch das Thema Licht in Verbindung mit den heutigen technischen Möglichkeiten berücksichtigt wurde. Dazu stellte man folgende Leitgedanken auf:

  • weitgehende Zurückhaltung in der Wahrnehmbarkeit von Lichtquellen im Mittel- und den Seitenschiffen einschließlich des Querhauses, des Chorumgangs und besonders des Hohen Chores
  • bei den Pendelleuchten galt es, nur eine für die Ausleuchtung zwingend erforderliche Anzahl mit zurückhaltender Lichtpunktgestaltung zu verwenden, damit eine weitgehende Beeinträchtigung der Raumarchitektur vermieden wird
  • keine Pendelleuchten im Hohen Chor, dafür in diesem Bereich die Untersuchung einer Lösung mit dem traditionellen Thema eines Radleuchters.

Ohne ausführlich auf die Detaillösung im gesamten Innenraum einzugehen, wurden folgende Lichtlösungen realisiert:

  • im Mittelschiff und dem Querhaus: Pendelleuchten, ausgestattet mit einem zylindrischen Lichtgehäuse, in dem sich aufeinander abgestimmte und ausgerichtete LED-Strahler befinden
  • indirekte Beleuchtung (LED) aus dem Scheitel der Arkaden in den Seitenschiffen
  • zurückhaltende Lichtstelen im Chorumgang, der Architektur zu- und untergeordnet
  • Anordnung eines Radleuchters im Hohen Chor, Entwicklung der inhaltlich-gestalterischen Lösung über einen beschränkten Wettbewerb mit vier Teilnehmern.

In die Umsetzung des Lichtkonzeptes wurde die Denkmalpflege begleitend eingebunden, so dass auch alle denkmalrelevanten Aspekte einvernehmlich Berücksichtigung fanden.

Abb.: Das Lichtkonzept berücksichtigt sowohl die sakrale Bedeutung des Raumes wie auch das Thema Licht in Verbindung mit den heutigen technischen Möglichkeiten. Die im Radleuchter eingebauten LED-Strahler geben 1200 lm bzw. 3000 K ab und sind dimm- und steuerbar. Carsten Sußmann
Abb.: Die Stelen im Chorumgang entstanden nach einem Entwurf vom Innenarchitekten und wurden mit LED-Elementen von Hoffmeister bestückt. Die Stelen ordnen sich der Architektur bewusst unter. Carsten Sußmann

Lichtvoller Höhepunkt

Die gesamte Installation der Beleuchtung im Dom konnte am Reformationstag 2021 mit der Inbetriebnahme des Radleuchters als feierlicher Höhepunkt im Hohen Chor abgeschlossen werden. Dem Dom steht nun eine moderne Beleuchtung zur Verfügung, die mit verschiedenen Beleuchtungsszenen auf die vielfältigen Nutzungen im Dom reagieren kann. Somit konnte in der Lichtplanung die Bedeutung des Sakralraumes in der Verbindung von Inhalt und Licht umgesetzt werden. Besonders der Radleuchter, auch Jerusalemleuchter genannt, ist für das Lichtkonzept in seiner theologisch-inhaltlichen Gestaltung und Wirkung der Höhepunkt im Hohen Chor, so wie es in der Bibel in der Offenbarung des Johannes im 21. Kapitel beschrieben wird. Die historisch-theologische Bedeutung fließt erkennbar in eine zeitgemäße Ausführung ein. Trotz eines historischen Grundprinzips zeigt der Radleuchter sich mit einer klaren, modernen Ausdrucksweise. Es wurden die Materialien Edelstahl für das Rad und eine Glasgestaltung für die zwölf Tore verwendet. Dabei bedient das Licht besonders über die Glasgestaltung mithilfe von LED-Lichtelementen und einer programmierbaren Steuerung verschiedene Lichtszenarien, beispielsweise mit Hinweis auf liturgische Farben im Kirchenjahr. Die in der Bibel beschriebenen vier Himmelsrichtungen werden in der Glasgestaltung symbolhaft mit dem Thema der Bewahrung der Schöpfung verknüpft. Nach Osten zeigen Knospen in den Zweigen den Frühling, nach Norden Fische – das geheime Zeichen der ersten Christen –, nach Süden strahlt das Licht und im Westen sind die Früchte der Erde als Thema verarbeitet. Alle Tore verbinden Bibelworte in der Sprache der Propheten (Hesekiel 48,35, Offenbarung 21,3), ausgeführt als Lasergravur mit altgriechischen und hebräischen Schriftzeichen. Ergänzt mit Strahlern aus dem Gewölbe wird zum Licht aus dem Radleuchter eine ausreichende Ausleuchtung im Hohen Chor erreicht, wobei nur der neue Radleuchter den Raum bestimmt und dem heutigen Betrachter seine Botschaft vermittelt. Alle bisherigen Pendelleuchten im Hohen Chor konnten damit entfernt werden. Das Gesamtgewicht des Radleuchters mit Aufhängung im Gewölbe beträgt ca. 350 kg, der Durchmesser 3,50 m und die Bauhöhe des Rades 30 cm.

Für den Radleuchter wurden LED-Elemente von Hoffmeister, wie verschiedene Strahler, verwendet, bspw. mit 1200 lm bzw. 3000 K. Im Radleuchter (Ringbereich) sind je acht Strahler nach unten und nach oben eingebaut. Alle LED-Strahler sind dimm- und steuerbar. Die Glasgestaltung ist in den Elementen jeweils mit einem LED-Band (Barthelme »Aqualuc C:urve«) unterlegt und ebenfalls dimm- und steuerbar, wobei je nach kirchlicher Jahreszeit die entsprechenden liturgischen Farben angewählt werden können. Die Stelen im Hohen Chor sind nach einem Entwurf (Büro v. Kirchbach) ebenfalls mit LED-Elementen von Hoffmeister bestückt, wobei die Oberfläche der Stele nach einem speziellen, vor Ort getesteten Farbton im Spritzverfahren behandelt wurde.

Abb.: Die gesamte Beleuchtung im Dom konnte am Reformationstag 2021 mit der Inbetriebnahme des Radleuchters als feierlicher Höhepunkt abgeschlossen werden. Mit verschiedenen Lichtszenen reagiert die neue Beleuchtung nun auf die vielfältigen Nutzungen im Dom. Carsten Sußmann
Abb.: Vormontage des Radleuchters durch Schlossermeister Silvio Höhne, Schmiede und Metallbau Höhne. Das Gesamtgewicht des Radleuchters beträgt ca. 350 kg, der Durchmesser 3,50 m und die Bauhöhe 30 cm. Carsten Sußmann

Was zeigt dieses Ergebnis allen Beteiligten?

Lichtplanungen in Denkmalen, insbesondere in Sakralräumen, erfordern nicht nur eine gestalterische Kompetenz, sondern in jedem Einzelfall die Auseinandersetzung mit der Geschichte und dem Inhalt, in diesem Fall der Widmung des Raumes. Die Bedeutung von Licht in der Transformation der Baugeschichte in ein heutiges Beleuchtungskonzept sollte man so einfließen lassen, dass sich das Licht mit seinen Beleuchtungselementen in die Geschichte und Funktion des Raumes einfügt. Die Nutzung der vielfältigen technischen und gestalterischen Möglichkeiten bietet die Möglichkeit, die Besonderheit jedes Raumes individuell zu unterstützen.

Für die Finanzierung des Konzeptes, der Planung und der Lichtelemente war die Domgemeinde verantwortlich, für alle elektrischen Leitungszuführungen die Kulturstiftung des Landes Sachsen-Anhalt. Eine Realisierung des Radleuchters wurde insbesondere durch viele Spenden an den Domförderverein möglich, wofür herzlich zu danken ist.

Weitere Informationen:

Gesamtplanung: Carsten Sußmann, sußmann und sußmann, architekten und ingenieure, Magdeburg, https://sussmann.biz

Lichtkonzept im Dom und Planung Radleuchter: Albrecht von Kirchbach, Innenarchitektur + Design, Erfurt, www.kirchbach.de

Elektroplanung: IPK – Ingenieurplanungs- und Komplexbau GmbH, Magdeburg

Künstlerischer Entwurf Radleuchter, insbesondere Glasgestaltung: Christiane Budig, Glasgestalterin, Halle/Saale, www.christiane-budig.de

Ausführung: Schmiede und Metallbau Höhne, Oberheldrungen

Im Text erwähnte Leuchtenhersteller: Hoffmeister, Schalksmühle, www.hoffmeister.de; Barthelme, Nürnberg, www.barthelme.de

Fotos: Carsten Sußmann

Text: Michael Sußmann, Kirchenoberbaurat i.R., Architekt, bis 2020 Lehrtätigkeit auf dem Gebiet der Methodologie in der Denkmalpflege an der Hochschule Anhalt in Dessau (Bauhaus). Zurzeit Lehrauftrag im Fach Bausanierung und Baugeschichte in Europa an der Hochschule Magdeburg-Stendal.

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