Planung
Licht 9 | 2021

Nur Backstein und Licht

Raum der Stille am Flughafen Willy Brandt

Im Terminal des Flughafens Willy Brandt entstand ein Rückzugsort für verschiedene Kulturen und Religionen. Dabei sollten die Räume eine unverwechselbare Identität erhalten und Besinnung inmitten des Flughafentrubels ermöglichen. Bewusst wurde hier nur auf zwei wesentliche »Baustoffe« gesetzt – Mauerwerksziegel und Licht.

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Abb.: Architektur, Material und Licht nehmen sich bewusst zurück, um eine ruhige Atmosphäre ohne Ablenkung zu schaffen. Im Empfangsraum findet sich eine beleuchtete Wandnische mit mehrsprachigen Schriftzügen des Wortes »Stille«. David Altrath

Ein Raum der Stille ist ein überkonfessioneller Ort der Ruhe, der Kontemplation und des Gebets. Viele dieser Räumlichkeiten befinden sich an Bahnhöfen, in Krankenhäusern oder in Flughäfen, wie auch am neuen Flughafen Willy Brandt. Der architektonische Raum dort reduziert sich bewusst auf nur zwei »Baustoffe«: Mauerwerksziegel und Licht. Dadurch wird eine Umgebung der inneren Einkehr und Stille ohne Ablenkung geschaffen. Alle Raumoberflächen bestehen aus gebrannten Ziegeln, auch die als Pyramidenstumpf geformten Decken. Insgesamt setzt sich das Ensemble aus fünf Räumen zusammen: einem Eingangsraum, zwei Vorräumen und zwei Andachtsräumen, die von Lichtgewölben gekrönt werden.

Abb.: Damit die Raumabfolge besser ablesbar ist und um einem zu dunklen Raumeindruck vorzubeugen, wurde in der Fuge ein LED-Band mit warmer Lichtfarbe so angebracht, dass nur der Fugengrund aufgehellt wird. David Altrath
Abb.: Durch Glastüren hindurch entdeckt der Besucher in beleuchteten Wandnischen das christliche Symbol oder das Symbol des Weltzeichens (hier im Bild), welches für den bekenntnisunabhängigen Bereich steht. David Altrath

Komposition der Räume

Die einzelnen Räume bestehen aus einem quadratischen Grundriss mit einer gestuften Gewölbedecke. Dabei ergibt sich eine Abfolge unterschiedlich großer Räume, die vom Zugang zu den Andachtsräumen hin immer größer werden. Da alle Räume die gleiche Gesamtraumhöhe aufweisen, verändert sich die Neigung des jeweiligen Gewölbes entsprechend.

Um die Gemeinsamkeiten aller Menschen zu betonen, wird der zentrale Zugang von allen Besuchenden gleichermaßen benutzt. Über diesen Zugang erreicht man zunächst den Empfangsraum. Dort befindet sich eine beleuchtete Wandnische mit mehrsprachigen Schriftzügen für das Wort »Stille«. Vom Vorraum öffnet sich der Blick in den eigentlichen Andachtsraum. Grundsätzlich weisen beide Andachtsräume die gleiche architektonische Ausbildung auf, um die Gleichrangigkeit hervorzuheben. In beiden Bereichen scheint sich der Raum durch das Lichtgewölbe nach oben zu erweitern und lässt dadurch Interpretationen wie »Himmel« oder »Paradies« zu, die wesentlicher Bestandteil fast aller Glaubensbekenntnisse sind. Im Gegensatz dazu steht der Besuchende auf dem festen Ziegelfußboden, welcher als »Erde« oder »Diesseits« aufgefasst werden kann. Durch Glastüren hindurch entdeckt der Gast in beleuchteten Wandnischen das christliche Symbol (Kreuz) oder das Symbol des Weltzeichens, welches für den bekenntnisunabhängigen Bereich steht.

Abb.: Den krönenden Abschluss der Andachtsräume bilden die »Lichtgewölbe«. Der indirekt beleuchtete Okulus lässt den Raum nach oben hin offen erscheinen und spielt mit den Assoziationen Himmel und Erde. David Altrath
Abb.: Durch die offenen horizontalen Fugen im Gewölbe dringt Licht aus dem Deckenhohlraum in den Raum. Der Boden wiederum wird durch eine umlaufende Fuge von den Wänden abgesetzt. Eine bronzierte Bodenmarkierung zeigt einen Weltkreis mit Windrose und Gläubigen die Himmelsrichtungen nach Mekka oder Jerusalem. David Altrath

Schwebendes Lichtgewölbe

Um den meditativen Charakter zu unterstützen, wird visuelle Stille angestrebt. Visuelle Stille ist an die Vermeidung überflüssiger, wahrnehmbarer Informationen gebunden. Unter überflüssiger Information sind nicht nur Beleuchtungskörper zu verstehen, sondern auch die Abbildung von Lichtkegeln an den Raumoberflächen. Daher erfolgt die Lichtführung mit verdeckt angebrachten Leuchten, die keine Abbildungen von Lichtkegeln nach sich ziehen. Der Boden ist durch eine umlaufende Fuge von den Wänden abgesetzt. Damit die Raumabfolge besser ablesbar ist und um einem zu dunklen Raumeindruck vorzubeugen, wurde in der Fuge ein LED-Band mit warmer Lichtfarbe so angebracht, dass nur der Fugengrund aufgehellt wird. Mit dieser schlichten Maßnahme wurde die notwendige Klarheit geschaffen.

Durch die offenen, horizontalen Fugen im Gewölbe dringt Licht aus dem Deckenhohlraum in den Raum. So entsteht der Eindruck eines schwebenden »Lichtgewölbes«, dessen oberer Abschluss ein indirekt beleuchteter Okulus (Lichtkuppel) bildet. Die offenen Fugen der pyramidenartigen Decke werden mit warmer Lichtfarbe (3.000 K) hinterleuchtet. Die Grundbeleuchtung erfolgt ausschließlich über das von den Backsteinen diffus reflektierte Licht. Es entsteht eine immaterielle Lichtatmosphäre, die das Gewölbe schwebend leicht erscheinen lässt. Um eine an den Tageszustand orientierte Farbstimmung erzeugen zu können, wurde der Okulus mit umlaufenden, hinter einer Blende angebrachten LED-Modulen aufgehellt, die sowohl hinsichtlich Intensität als auch Farbtemperatur steuerbar sind. Durch die Dimmung kann die Farbstimmung von der Dämmerung mit kühlem Eindruck, über die Mittagssonne mit warmweißem Charakter bis hin zur reinen Nachtbeleuchtung mit warmer Lichtfarbe angepasst werden.

Ein Raum der Stille sollte seinen Namen auch verdienen. Und dieser Ort setzt auf eine klare Geometrie und die Reduktion auf ein Baumaterial, um den Charakter eines kontemplativen Raumes zu erfüllen. Das Licht unterstützt im Hintergrund, ohne durch sichtbare Leuchtkörper, Lichtkegel oder sonstige störende Effekte abzulenken. Denn leider zeigt die Realität allzu oft, dass aus Räumen der Stille schnell laute Räume werden …

Weitere Informationen:

Architekten: gmp International GmbH, Hamburg, www.gmp.de

Lichtplanung: CONCEPTLICHT GmbH, Traunreut, www.conceptlicht.com

Fotos: David Altrath

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