Design
Licht 9 | 2022

Neue Verbindungen schaffen

Leuchten »Raiz« lassen altes Handwerk aufleben

Während des London Design Festivals im September 2022 präsentierte das deutsch-kolumbianische Label ames seine erste Leuchtenkollektion: »Raiz« entstand in Zusammenarbeit mit dem Designer-Duo Ilse Crawford und Oscar Peña von Studioilse. LICHT-Redakteurin Andrea Mende hatte die Gelegenheit, beide vor Ort zu interviewen.

Lesezeit: ca. 4 Minuten
Abb.: Für die Kollektion »Raiz« werden zwei Töpfertechniken angewendet, um mehrere Farben zu erhalten. Der Ton aus der Region Talima liefert das Schwarz, ergänzt durch Terrakotta und glasierte Keramik in grünen Nuancen. ames

Ilse Crawford gehört zu den einflussreichsten Designern Großbritanniens. Sie gründete Studioilse im Jahr 2003, heute führt sie es gemeinsam mit ihrem kolumbianischen Mann Oscar Peña. Das dreizehnköpfige Team ist multidisziplinär aufgestellt und realisiert die unterschiedlichsten Projekte, von der Gestaltung privater und öffentlicher Räume bis hin zu Produkten und strategischer Beratung.

Abb.: Die Lampenschirme werden frei von Hand geformt, ohne Töpferscheibe. Dadurch wird jedes einzelne Stück zum Unikat. Für den schwarzen Ton und das Terrakotta werden unterschiedliche Techniken angewendet. ames
Abb.: Der Ton muss mehrere Tage bei einer bestimmten Temperatur in der Sonne trocknen. Dieser Prozess ist subtil, da er sehr vom Wetter abhängt und auch keine Hallen zur Verfügung stehen. Danach folgt das Brennen im Ofen. ames
Abb.: Den typisch samtigen Glanz erhalten die dunklen Lampenschirme in einem letzten Arbeitsschritt, wenn die Kunsthandwerker die Oberfläche mit Halbedelsteinen polieren. Der Vorgang braucht nur wenige Minuten. ames

Ausgeprägte Wurzeln

Das Designer-Ehepaar hatte bereits einen starken Bezug zum kolumbianischen Kunsthandwerk, als sie vor ein paar Jahren die Inhaber des deutsch-kolumbianischen Labels ames auf einer Messe trafen. Die gebürtige Kolumbianerin Ana María Calderón Kayser führt mit ihrem Mann Karl-Heinz Kayser das Koblenzer Unternehmen, das sich auf moderne Lifestyle-Produkte aus Kolumbien spezialisiert hat. Möbel, Teppiche und Accessoires werden dort aus ursprünglichen Materialien von kleinen Handwerksbetrieben traditionell verarbeitet. ames kooperiert auch mit zeitgenössischen Designern. Mit »Raiz« stellen sie nun ihre erste Leuchtenkollektion vor, die zum diesjährigen London Design Festival ihre Markteinführung im Vereinigten Königreich gefeiert hat. Den Entwurf lieferten Ilse Crawford und Oscar Peña.

»Raiz« bedeutet übersetzt Wurzeln, und auf einer profunden Basis beruht auch das Design: es verbindet alte kolumbianische Töpfertechniken mit überlieferter Flechtkunst. Die Leuchtenkollektion umfasst eine kleine und große Pendelleuchte, eine Tisch- und Stehleuchte. Im Fokus steht dabei der Lampenschirm aus Keramik, der ganz ohne Töpferscheibe nur von Hand geformt wird. Für die tiefschwarzen Lampenschirme arbeitet ames mit mehreren, familienbetriebenen Werkstätten in Tolima zusammen, die Provinz ist seit über 300 Jahren als Zentrum der Keramikherstellung bekannt. Aus dem schwarzen Ton wird normalerweise Kochgeschirr gefertigt, das im Ofen oder auch auf dem Gasherd benutzt werden kann. Für Lampenschirme wurde es noch nie verwendet.

Abb.: Die gewebten Verzierungen bestehen aus Fasern der Iraca-Palme, die mit Samen, Blättern, Nüssen oder Wurzeln eingefärbt werden. Bei den Pendelleuchten wird aus ihnen die Kappe gebildet, die den Lampenschirm abschließt. ames
Abb.: Das Innere der Lampenschirme gibt es in Schwarz oder Weiß, die Außenseite in fünf Farben (Schwarz, Terrakotta, Trebol-, Oliv- oder Pastogrün). Die Flechtdetails sind in Schwarz, Naturbeige oder Erdbraun erhältlich. ames

Alte Materialien, neue Technologie

»Dieser schwarze Ton ist der Held unserer Kollektion«, sagt Ilse Crawford. »Das gesamte Design wurde von dem Wunsch bestimmt, mit diesem sehr außergewöhnlichen und ehrlichen Material zu arbeiten.« Oscar Peña bestätigt: »Er ist einfach schwarz, du kannst das nicht verändern. Die anderen Schirme aus glasiertem Terrakotta sind auch handgemacht, aber doch mehr industriell. Dieser Rohstoff ist einfach viel purer. Beim Kochen funktioniert das Material wunderbar, wir benutzen es selber täglich. Also haben wir uns gefragt: könnten wir nicht noch etwas anderes damit machen?«

Der schwarze Ton ist typisch für die Region Tolima und wird am Ufer des Magdalena-Flusses gewonnen, mit Wasser gemischt und dann von Hand bearbeitet. Bis ein Lampenschirm fertig ist, braucht es Zeit und mehrere Arbeitsschritte – vom Ausgraben über das Formen, Trocknen, Brennen und Räuchern bis hin zum Polieren. Dabei muss der Ton draußen in der Sonne trocknen. Dieser Prozess ist vom Wetter abhängig, denn Lagerhallen mit konstanter Temperatur gibt es nicht. Im nächsten Schritt kommen die Lampenschirme in den holzbefeuerten Ofen, der auf etwa 700 Grad kommt. Für die Verarbeitung reicht diese Hitze aus; übliche Keramik benötigt 1.200 Grad. Der Ton wird im Ofen mit natürlichen Materialien geräuchert, was ihm am Ende die intensive, schwarze Farbe verleiht. Abschließend wird die Oberfläche mit Halbedelsteinen poliert, die dadurch ihre typisch-samtige Anmutung erhält.

»Es ist ein Material, das wir schon seit vielen Jahren kennen. Es ist erstaunlich, dass es sowohl ursprünglich und schön als auch so nachhaltig ist«, erklärt Ilse Crawford. »Alte Materialien mit neuer Technologie zusammenzubringen – das ist sehr interessant«, sagt die Designerin. »Es fühlt sich vertraut an. Uns ging es darum, neue Verbindungen zu schaffen«, meint Oscar Peña. »Wenn mit der schwarzen Keramik etwas Schönes existiert, es aber nicht in dem Sinne als wertvoll angesehen wird, dann können wir neue Verbindungen schaffen und Design dafür nutzen, die Wahrnehmung von etwas zu verändern«, so Ilse Crawford. »Oft besteht die Aufgabe des Designs nicht unbedingt darin, etwas Neues zu kreieren. Es geht darum, das Vorhandene aufzugreifen, es zu verbessern oder in einen anderen Kontext zu setzen.«

Abb.: Für Kollektion »Raiz« nutzen Ilse Crawford und Oscar Peña authentische Materialien aus Kolumbien. Aus dem schwarzen Ton wird sonst Kochgeschirr gefertigt, aus den Palmfasern entstehen traditionell Hüte oder Taschen. ames

Weitere Informationen:

Studioilse, London (UK), www.studioilse.com

ames, Koblenz, www.amesliving.de

Fotos: ames

Text und Interview: Andrea Mende, freie Redakteurin, www.glowmymind.com

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