Mass Personalization & Lighting – eine neue Welt, die es zu besiedeln gilt!
Im ersten Beitrag der Serie haben wir die Welt der Massenpersonalisierung mit ihren vier Kontinenten Marketing & Sales, Forschung & Entwicklung, Produktion und Planung vorgestellt. In diesem Artikel wollen wir nun auf den Bereich Marketing & Sales fokussieren und als erstes Beispiel auf die Möglichkeiten der Personalisierung in der Produktnutzung eingehen.


Reich durch Licht als Abfallprodukt
Eines der bekanntesten Vertriebskonzepte dürfte das »Rockefeller-Prinzip« sein. Um sein Öl an den Mann zu bringen, brachte Rockefeller die Petroleumlampe günstig oder gar kostenlos auf den Markt. Damit verdrängte er den bisherigen Standard, die Talgkerze. Am Verbrauchsmaterial wurde Rockefeller zum ersten Milliardär der Weltgeschichte. Die Öllampen wurden damals zwar schon in Masse produziert, konnten aber über das Verbrauchsmittel den künstlich verringerten Verkaufspreis refinanzieren. Dass die Petroleumlampe zudem personalisiert einsetzbar war, war sicherlich eine weitere Ursache für den fulminanten Erfolg. Auf einmal war Licht hochflexibel und individualisiert verfügbar. Man konnte die Leuchtkraft über die Länge des Dochtes einstellen und somit die 5- bis 30-fache Helligkeit der bis dahin verfügbaren Talgkerzen erzeugen. Außerdem war die Flamme gegen Wind geschützt, das Öl in einem geschlossenen Behältnis gelagert und somit der Einsatzbereich an der Decke, auf Möbeln, an der Wand, im Außenbereich oder auf der Kutsche möglich. Erst durch das Gas wurde Licht wieder zu einer »starren« Quelle und blieb bis heute an Stromleitungen fixiert. Nur langsam kommt über Batterien und beschleunigt durch die Akkutechnologie »Bewegung« in das Licht, wie es ja auch ein Thema in dieser Ausgabe ist. Dass man mit akkubetriebenen Leuchten zu einem zweiten Rockefeller wird, ist nach heutigen Gesichtspunkten allerdings fraglich, aber schon ein richtiger Schritt. Geht man konsequent weiter und betrachtet die Nutzungspotenziale der Personalisierung über den gesamten Lebenszyklus, ist es zumindest wahrscheinlicher. Sich im Entstehungsprozess bereits Gedanken über verschiedene Nutzungsszenarien zu machen, ist heute vor allem für Endkundenprodukte entscheidend. Mechanische Einstellbarkeit in Höhe und Richtung, Verändern der Lichtintensität und Abstrahlcharakteristik, intuitiver und gefahrloser Umgang für jede Altersgruppe sind nur einige Aspekte, die die Personalisierung in der Nutzung ermöglichen, ohne die Variantenvielfalt zu erhöhen.

Durch das stetig wachsende Bedürfnis nach Individualität werden die Marktsegmente immer kleiner und spezieller. Neue Technologien ermöglichen es, immer gezielter Bedürfnisse zu befriedigen, wenn man sie bloß identifiziert. So, wie es Rockefeller seinerzeit gelungen ist, einen Weg für sein Petroleum in den Markt zu finden, müssen auch heute die Hersteller von Leuchten Wege finden, innovative Produkte mit neuen Funktionen in den Markt zu bringen, was meist nur über das Verdrängen von bisherigen Standardlösungen gelingt.
Spieltder Nutzer beiHuman Centric Lighting wirklich die Hauptrolle?
Bereits seit einiger Zeit wird unter dem Begriff Human Centric Lighting der Versuch unternommen, »Menschenzentriertes Licht« u.a. in die Arbeitswelt einzuführen. Seit Entdeckung des dritten Rezeptors, der Ganglienzelle (ipRGC), »befeuert« ihn ein Großteil der Industrie, um das Wohlbefinden und vor allem die Produktivität des Menschen zu steigern. Die Nutzer- und damit die Marktakzeptanz liegen trotz hoher Marketingbudgets, vielen Präsentationen auf Messen, Referenzprojekten, Werbeanzeigen, animierten Apps oder Videofilmen hinter den Erwartungen zurück. Nicht aber, weil die Produkte schlecht funktionieren oder die Wirkung des Lichts schwierig nachzuweisen ist. Die Schwierigkeit liegt zum einen an der »Mensch-Maschine-Schnittstelle«, also der Interaktion mit den Lichtsystemen, und zum anderen an psychologischen Aspekten zur Wahrnehmung sowie soziologischen Aspekten, wie Gewohnheiten. Das Bedürfnis des Nutzers nach perfektem Licht, welches zur richtigen Zeit nach individuellem Bedarf, Vorliebe und Sehkraft an der richtigen Stelle strahlt, ist heute technisch leichter zu erfüllen als je zuvor. Die Komplexität einer Interaktion mit einer solchen Anlage oder Leuchte ist jedoch noch weitestgehend ungelöst. Um ein Beispiel zu nennen: Der gestresste Projektleiter im Großraumbüro muss am Abend noch eine wichtige Kundenpräsentation fertig stellen, das zentral gesteuerte Licht signalisiert ihm aber bereits seit Stunden mit einem Warmton, dass es Zeit für den Feierabend ist. Ideal wäre, wenn der Nutzer nun manuell gegensteuern könnte.
… doch er fand den Schalter nicht.
Dabei spielen schon rudimentärste Parameter, wie die Form, Farbe und Größe von Wandschaltern eine erhebliche Rolle, ob zusätzliche Funktionen verwendet werden. Die Universität Lund stellte in einer Studie (Maleetipwan-Mattsson, P., Laike, T. & Johansson, M. (2017). The effects of user interface designs on lighting use.) fest, dass selbst einfache Interaktionen, wie Schalten oder Dimmen, den Komfort und die Energieersparnis erhöhen. Das zeigte sich beispielsweise schon, wenn die gleiche Schalterfamilie eingesetzt wird, um verschiedene Funktionen (wie Verschattung und Beleuchtung) zu bedienen. Im Idealfall sollen diese an derselben Stelle, etwa neben der Tür, positioniert sein. Das klingt logisch, ist aber nach wie vor meist die Ausnahme.

Barbara Szybinska Matusiak, welche an der NTNU in Norwegen forscht, hat über 100 Publikationen nach Nutzerbedürfnissen untersucht. Dabei ist sie neben der allgemeinen sichtbaren Wahrnehmung und dem visuellen Komfort auch auf die psychologischen Aspekte aufmerksam geworden. Das Verhalten des Nutzers wird zu großen Teilen von der Aussicht eines Gebäudes, der Privatsphäre, der wahrgenommenen Qualität eines Innenraumes und dem Licht geprägt. Ziel ihrer Arbeit im Rahmen des IEA TASK 61 ist es, typische Nutzerprofile zu identifizieren, um die Arbeit der Planer und Facility Manager zu vereinfachen. Auch das ist einer der Schlüssel bei der Massenpersonalisierung: Identifizieren der Gemeinsamkeiten und der Unterschiede bei der Nutzung von Produkten oder Dienstleistungen, um diese automatisiert und diskret in das Angebot einfließen zu lassen.
Aktive und passive Nutzerbeteiligung
Warum das Sinn macht, zeigt eine Untersuchung, mit der Ansorg den Einfluss von Licht in Umkleidekabinen von Kaufhäusern bewerten ließ. 40 % der potenziellen Kunden verlassen auf Grund von Unwohlsein die Kabine, ohne Kleidungsstücke zu probieren. Könnte die Beleuchtung erkennen, welche Vorliebe der Nutzer hat, oder unter welcher Farbtemperatur und Intensität das Kleidungsstück getragen würde (das kleine Schwarze für ein Dinner im Kerzenschein oder die Businessjeans für das lichtdurchflutete Großraumbüro), würden sich die Kunden eher zum Anprobieren und möglicherweise für einen Kauf entscheiden.

Ziel der Massenpersonalisierung ist es, die wahren Nutzerbedürfnisse und Funktionen bereits in frühen Stadien zu identifizieren, variabel zur Verfügung zu stellen und an der richtigen Stelle Algorithmen und künstliche Intelligenz einzusetzen, um den Nutzer zu unterstützen. Schon die Funktion und Parametrierung eines Präsenzmelders für Arbeitsplatzstehleuchten ist heute noch lange nicht zufriedenstellend, für Flure und »gefangene« Kellerräume hingegen schon gut gelöst.

Wann ist smart wirklich smart?
Sind die Nutzerbedürfnisse identifiziert und in die Produktstruktur implementiert, gibt es die Möglichkeit, auf individuelle Form- und Funktionsfaktoren zu reagieren. Das bedeutet zum einen modulare Lichtsysteme, die auf die Dimensionen der zu beleuchtenden Architektur angepasst werden können, zum anderen unterschiedliche optische Systeme, welche ebenfalls die Bedürfnisse der Planer bezüglich Abstrahl-Charakteristik, Farbtemperatur und Spektrum berücksichtigen. Zudem gilt es, die Variabilität im Einsatz zu beachten. Die Interaktion mit den Produkten, sei es über einen Wandschalter, ein Interface, Taster oder berührungslose Gesten, muss neu gelernt werden. Wo man bislang über einen Schalter Ein und Aus, im selteneren Fall über einen Dimmer Hell und Dunkel (mit automatischer Anpassung der Farbtemperatur über die Glühwendel) steuern konnte, soll man heute über Tastenkombinationen (oder im besten Fall eine App) die Farbtemperatur für spezielle Anwendungen (im Büro eine konzentrierte Aufgabe, im Privathaushalt das feierliche Abendessen mit Freunden) einstellen. Kann man das System nicht beeinflussen bzw. ist keine intuitive Interaktion mit der Beleuchtung und anderer Gebäudetechnik möglich, ist die einzige Option häufig, den Raum zu wechseln. Bei mangelhafter Verschattung behelfen sich Nutzer mit Kartonagen oder Papier, im Fall von Klimaanlagen und Bewegungsmeldern kommt auch gerne Klebeband zum Einsatz. Diese kleinen Rebellionen sind ein Armutszeugnis für die heutige Gebäudeautomation und weit enfernt von »Smart Buildings«.
Stattdessen könnte die Beleuchtung, ähnlich dem Tageslicht, eine dynamische Komponente sein, die getriggert aus Echtzeitdaten wie der Personenanzahl und vorgegebenen Präferenzen (z. B. > 5 Personen: Lichtstimmung ändern) geregelt wird. In der so genannten »Ambient Communication« spielen Licht und Leuchten schon heute eine entscheidende Rolle. Um narrative Umgebungen zu gestalten, wird z. B. die Software »Poet« mit entsprechender Hardware von »Skandal Technologies« heute schon eingesetzt, um Menschenströme bei Großveranstaltungen oder in großen Gebäuden und Bahnhöfen subtil durch Licht zu lenken und damit Gedränge und Panik zu vermeiden. Durch solche Systeme werden die oben beschriebenen Szenarien langsam Einzug in die umbaute Welt finden und die Personalisierung von und durch Licht auf ein neues Niveau bringen. Selbstverständlich sind die heute üblichen Kenntnisse, Standardkomponenten und Bauprozesse noch nicht in der Lage, diese Konzepte vollumfänglich umzusetzen. Es wird also noch eine ganze Zeit der Forschung und Entwicklung benötigen, bis die Hersteller den Nutzern automatisch personalisierte Lichtsituationen zur Verfügung stellen können.
Mass Personalization kann als Methode für die Lichtwelt in der Produktnutzung über lernende Systeme, künstliche Intelligenz und schlaue Produktarchitektur Abhilfe schaffen. Vernetzte Systeme können langfristig erkennen, welcher Mitarbeiter an welcher Stelle welcher Aufgabe nachgeht und diesen mit der richtigen Lichtstimmung bei seiner speziellen Aufgabe unterstützen. Theoretisch könnten Informationen einer Smart Watch genutzt werden, um über den Blutdruck und damit den aktuellen Gemütszustand zu informieren. Auf diese Impulse könnten intelligente Systeme gezielt reagieren. Die dazu notwendigen Informationen, Algorithmen und künstlichen Intelligenzen stehen uns bereits heute schon zu großen Teilen zur Verfügung. Diese aber frühzeitig in Produkte oder, wie im Falle der Petroleumlampe, in erfolgreiche Geschäftsmodelle zu überführen, bedarf einer intensiven Auseinandersetzung mit den neuen Möglichkeiten und den eigenen Kernkompetenzen und Zielen.
Aktuell wurde in Mailand eine neue Form von Leuchte durch IKEA präsentiert. Es handelt sich im Grunde um einen getarnten Lautsprecher, der für unterschiedliche Streamingdienste genutzt werden kann und von Sonos entwickelt wurde. Nun ist es nur noch ein kleiner Schritt, dem Lautsprecher ein Mikrofon hinzuzufügen, und damit über Alexa und andere Sprachdienste an das »neue Öl« zu gelangen, wie Daten heute schon gerne bezeichnet werden. Es wäre dann auch eine Option, wie einst Rockefeller über Leuchten, einen neuen Markt zu erschließen. Stand heute wäre es wohl wieder ein branchenfremder Unternehmer, der die Leuchte nur als Mittel zum Geschäftszweck nutzen würde.
Weitere Informationen:
Am 25. Juni findet im Fraunhofer-Institut für Bauphysik in Stuttgart der nächste Workshop rund um das Thema »MASS PERSONALIZATION & LIGHTING« statt, zu dem auch LICHT-Leser herzlich eingeladen sind. Melden Sie sich unter masspersonalization@ibp.fraunhofer.de, um weitere Information über das Vorhaben zu erhalten. Im Workshop und in unserem nächsten Beitrag werden wir den Kontinent »Planung« besuchen und Beispiele und Methoden zeigen, welche Ihnen helfen können, Mehrwerte für sich durch Massenpersonalisierung zu gewinnen.
Autor: Daniel Neves Pimenta, Fraunhofer-Institut für Bauphysik, Stuttgart
Quelle Grafiken: Fraunhofer-Institut für Bauphysik, Stuttgart