Lichtforschung im Zentrum der Hauptstadt
Aktuelle Forschung zeigt, dass die spektrale Verteilung und die Richtung des am Auge empfangenen Lichts relevante Parameter für nichtvisuelle Lichtwirkungen sind. Dennoch werden die Lichtverhältnisse oft nur mit der vertikalen Beleuchtungsstärke am Auge und mit der ähnlichsten Farbtemperatur des Lichts beschrieben. Beide Werte sind integrale Größen und somit nicht geeignet, Auskunft über die räumliche Verteilung oder das Spektrum des Lichts zu geben. In diesem Beitrag werden Ansätze für räumlich und spektral aufgelöste Messungen zur detaillierten Quantifizierung der Lichtbedingungen in Feld- und Laborstudien zu nichtvisuellen Wirkungen und deren Darstellung beschrieben.

1 Einleitung
Der Erforschung nichtvisueller Lichtwirkungen auf den Menschen wird in den letzten Jahren stetig wachsende Aufmerksamkeit zuteil. Aufgrund unterschiedlicher Designs von Versuchen, der Betrachtung verschiedener Messgrößen, der Verwendung inkonsistenter Begrifflichkeiten, unzureichender Dokumentation der Lichtsituationen oder methodischer Fehler in der Auswertung [1] sind die Ergebnisse zum Teil konträr. Um diese Hürde zu überwinden, hat die Internationale Beleuchtungskommission (CIE) eine Norm veröffentlicht, die eine gemeinsame Arbeitsgrundlage schafft [2].
2 Bedarf an spektral und räumlich aufgelöste Messungen
Einige Forschungsergebnisse zeigen, dass bestimmte nichtvisuelle Wirkungen in der Nacht, wie Melatoninunterdrückung und Phasenverschiebung des circadianen Rhythmus, eine ausgeprägte spektrale Empfindlichkeit aufweisen. Dabei spielen die melanopsinhaltigen, intrinsisch photosensitiven Ganglienzellen (ipRGC) eine wichtige Rolle. Neben ipRGCs können auch Stäbchen und Zapfen zu nichtvisuellen Lichtwirkungen auf den Menschen beitragen. Das genaue Zusammenspiel der verschiedenen retinalen Rezeptoren ist jedoch zurzeit noch unbekannt [3].
Um zu beschreiben, wie effektiv ein bestimmter Lichtreiz in Bezug auf nichtvisuelle Wirkungen ist, wurden bisher verschiedene Begrifflichkeiten verwendet, die zum Teil jedoch unterschiedliche physikalische Zusammenhänge wiederspiegeln. Für die Beschreibung eines Lichtreizes, der auf potenzielle nichtvisuelle Lichtwirkungen untersucht werden soll, ist es ratsam, die spektrale Strahlungsverteilung zu messen. Hieraus können die gewichteten Bestrahlungsstärken aller fünf lichtempfindlichen Rezeptortypen (Stäbchen, Zapfen, ipRGC) der Netzhaut bestimmt werden.
Neben den spektralen Abhängigkeiten nichtvisueller Wirkungen gibt es in der Forschung auch Hinweise auf eine Abhängigkeit der Lichteinfallsrichtung. Studienergebnisse deuten darauf hin, dass die Beleuchtung der unteren Netzhauthälfte eine stärkere Melatoninunterdrückung während der Nacht zur Folge hat, als die Beleuchtung der oberen Netzhauthälfte. Auch am Fachgebiet Lichttechnik der Technischen Universität Berlin werden Untersuchungen dazu durchgeführt (Abb. 1) [4]. Diese zielen darauf ab, die Lichtrichtungsabhängigkeit während der Nacht auch für subjektive Schläfrigkeit und Reaktionszeiten zu bestätigen und zu prüfen, ob diese Abhängigkeit auch während des Tages vorhanden ist. Erste Ergebnisse deuten an, dass es bei Beleuchtung der unteren Netzhauthälfte während der Nacht möglicherweise auch positive Auswirkungen auf subjektiv empfundene Schläfrigkeit sowie Reaktionszeiten gibt. Während des Tages scheinen diese Effekte weniger ausgeprägt.

Um die Lichtverhältnisse räumlich aufgelöst zu beschreiben und Licht aus einer bestimmten Richtung zu quantifizieren, haben Liedtke und Kollegen in [5] das Konzept der Lichteinfallsstärke J vorgeschlagen. Diese wird durch den einfallenden Lichtstrom in einem bestimmten Raumwinkel definiert (Gl. 1). Eine präzise Charakterisierung der Beleuchtungssituation für die Untersuchung nichtvisueller Wirkungen erfordert meist sowohl eine spektral als auch eine räumlich aufgelöste Messung. Eine spektrale Lichteinfallsstärke wäre hierzu geeignet.


3 Messgeräte für NIF-Studien
Im Allgemeinen kann die Lichteinfallstärke mit Hilfe von bildgebenden Systemen (Kameras) oder abtastenden Messsystemen (Raumscanner) erfasst werden. Um die spektrale Strahlungsverteilung der Lichteinfallsstärke zu berücksichtigen, müssten Kameras entweder spektral aufgelöst messen können (Spektralkamera) oder mit zusätzlichen Filtern ausgestattet sein. Raumscanner können mit Spektroradiometern ausgerüstet werden.
Scanner und Kameras unterscheiden sich in einer Reihe von Merkmalen, wie räumliche Auflösung, spektrale Auflösung, Scan-Zeit, Benutzerfreundlichkeit, Kosten, Mobilität und Genauigkeit. Die gewünschten Merkmale werden maßgeblich durch die Art des Versuchs und die Testumgebung beeinflusst.
Studien über nichtvisuelle Lichtwirkungen lassen sich in zwei Hauptkategorien einteilen: Labor- und Feldstudien. In Laborstudien wird die Wirkung einer oder mehrerer unabhängiger Variablen unter kontrollierten Bedingungen untersucht. Diese Studien werden beispielsweise durchgeführt, um Einblicke in die Relevanz dieser Variablen bei der Entstehung von nichtvisuellen Lichtwirkungen zu gewinnen, theoretische Modelle zu erstellen und Schwellenwerte zu definieren. Hierbei werden zwei oder mehr Lichtszenarien verglichen, die sich z.B. hinsichtlich Beleuchtungsstärke am Auge, spektraler Verteilung oder Leuchtdichteverteilung im Raum unterscheiden. Jedes Lichtszenario muss separat dokumentiert werden.
In Feldstudien ist der Einfluss der vorherrschenden Lichtverhältnisse auf physiologische und psychologische Reaktionen in einer anwendungsrepräsentativen Umgebung zu bewerten. Diese Studien werden beispielsweise verwendet, um die Anwendbarkeit speziell entwickelter Beleuchtungslösungen zu testen oder um die »Lichtdosis« zu definieren, die unter realen und repräsentativen Umständen wirkt. Die Teilnehmer werden in der Regel weder gebeten sich in bestimmten Bereichen aufzuhalten noch aufgefordert, feste Blickwinkel einzuhalten. Tageslicht ist in der Regel ein Bestandteil in diesen Studien. So ist die Variabilität von Lichtniveau, spektraler Zusammensetzung und räumlicher Lichtverteilung durch individuelle, umgebungs- und zeitliche Faktoren hoch. Das Hauptziel solcher Untersuchungen ist, integrale Werte für die Praxis zu definieren.
An der Technischen Universität Berlin wird für die Laborstudien ohne Tageslicht eine speziell entwickelte LMK 5-Farb-Leuchtdichtekamera (TechnoTeam Bildverarbeitungs GmbH, Abb. 3, links) eingesetzt. Die Kamera ist mit einem Fisheye-Objektiv, einem Filterrad mit photometrischen Filtern (v(λ) und v'(λ)), farbmetrischen Filtern (X(λ) und Z(λ)) und einem melanopischen Filter ausgestattet. Der melanopische Filter ermöglicht die Analyse einer Lichtszene unter Berücksichtigung der spektralen Empfindlichkeit der ipRGCs.
Zudem wurde an der Technischen Universität Berlin ein spektraler Sky-Scanner in Betrieb genommen, welcher nach einer detaillierten Überprüfung der bestehenden Ansätze und Anforderungen an Messsysteme zur Durchführung von zeitlich, räumlich und spektral aufgelösten Tageslichtmessungen entwickelt wurde (Abb. 3, rechts). Der spektrale Sky-Scanner kann einen kompletten Scan des Himmels, aufgeteilt in 145 Regionen, innerhalb einer Minute durchführen. Für mehr Informationen siehe [6]. Die mit diesem spektralen Himmelsscanner gesammelten Erfahrungen werden zur Entwicklung eines spektralen Raumscanners für Labor- und Feldstudien mit Tageslicht genutzt.


4 Messen von Lichtbedingungen in Feld- und Laborstudien
Eine Analyse der notwendigen Messmethoden für nichtvisuelle Lichtwirkungen [7] hat gezeigt, dass integrale Messungen, wie zur Ermittlung der vertikalen Beleuchtungsstärken und Bestrahlungsstärken am Auge nur für Experimente in einer Ulbricht-Kugel (Abb. 4, links) mit gleichmäßiger Leuchtdichteverteilung und bekannter spektraler Strahlungsverteilung geeignet sind.
Für alle Laborexperimente, die den Einfluss von Lichtniveau, spektraler Strahlungsverteilung oder räumlicher Lichtverteilung auf nichtvisuelle Wirkungen untersuchen, empfehlen die Autoren dieses Artikels die Verwendung eines Labors mit spektral neutralen Oberflächenreflexionen und von Lichtquellen mit identischen spektralen Strahlungsverteilungen (innerhalb eines Szenarios) (Abb. 4, Mitte), während die räumliche Lichtverteilung mit einer Leuchtdichtekamera oder einem Leuchtdichtescanner erfasst wird.
Die Lichtverhältnisse in Laborexperimenten mit verschiedenen spektralen Strahlungsverteilungen (Abb. 4, rechts) oder Variationen des spektralen Reflexionsgrades der Oberflächen müssten zusätzlich mit spektralen Strahldichten eines Spektroradiometers in relevante Messrichtungen beschrieben werden (Abb. 5, links). Unter Berücksichtigung der Messzeit werden diese Lichtverhältnisse, sowie solche in Laborversuchen mit Tageslichteinfluss, idealerweise mit entsprechend gefilterten Leuchtdichtekameras oder spektral auflösenden Scannern beschrieben (Abb. 5, Mitte). Messgeräte dieser Art sind in der Regel teure Sonderanfertigungen oder Prototypen. Daher empfehlen die Autoren dieses Artikels, zumindest spektrale Punktmessungen aus der Blickrichtung des Beobachters einzubeziehen und Laborstudien ohne Tageslichteinfluss durchzuführen. Auch wenn eine retrospektive detaillierte Analyse der Forschungsdaten dann nicht möglich ist, können die Versuchsergebnisse besser mit anderen Studien vergleichen werden. Lichtlogger und Dosimeter werden aufgrund ihrer praktischen Anwendbarkeit für Feldstudien (Abb. 5, rechts) empfohlen. Ein Entscheidungsschema wurde in [7] aufgenommen.






5 Darstellung
Lichteinfallsstärkemessungen und ortsaufgelöste Spektralmessungen erfordern ein neues Format der Datenerfassung und -darstellung. Eine räumliche Auflösung kann je nach Bedarf variieren, die betrachteten Raumwinkel sollten sich jedoch nicht überlappen. Es wird eine Unterteilung der Hemisphäre nach Tregenza [8] und CIE [9] vorgeschlagen, wobei 145 integrale oder spektrale Messungen pro Halbraum erfasst und dargestellt werden. Die Messungen können in Matrizen gespeichert werden. Für die grafische Darstellung von diesen räumlich aufgelösten Daten werden neue Arten von Diagrammen, sogenannte Lichteinfallsstärkeverteilungskörper [10] und Direktogramme [7] vorgeschlagen. Diese Diagramme können Informationen über Messungen in zwei gegenüberliegenden Hemisphären enthalten, um das einfallende Licht der gesamten Lichtszene darzustellen.
Ein Direktogramm (Abb. 6) zeigt die räumliche Verteilung des einfallenden Licht- oder Strahlungsflusses mit dem zentral gelegenen Betrachtungspunkt. Es besteht aus kreisförmigen Scheiben, die mit der Position des Beobachters durch eine gerade Linie verbunden sind. Die Scheibengröße und die Linienlänge sind jeweils Indikatoren für den Zahlenwert der betrachteten Einheit. Die geneigten Scheibenflächen des Direktogramms und ihre Lage zueinander bieten eine bessere räumliche (Tiefen-)Wahrnehmung als die Lichteinfallsstärkeverteilungskörper. Die Scheibenfarbe kann auch als fünfte Dimension verwendet werden – neben den drei räumlichen Dimensionen und der Scheibengröße – um eine zusätzliche Einheit anzugeben, z.B. die CCT in Falschfarben.


6 Ausblick
Die vorgeschlagenen Messansätze, sowie die Darstellung der Daten eignen sich für unterschiedliche Forschungsarbeiten im Zusammenhang mit Lichtwirkungen auf Menschen. Dennoch ist zu beachten, dass die räumlichen und spektralen Eigenschaften nicht die einzigen zusätzlichen Variablen sind, die erfasst werden müssen. Die Untersuchung der physiologischen und psychologischen Wirkungen von Licht ist ein komplexes Forschungsthema, das eine detaillierte Betrachtung und Dokumentation aller möglichen Einflussgrößen erfordert.
Um in Zukunft auch in Feldstudien aussagekräftige Messwerte der Lichtexposition in sowohl zeitlicher als auch räumlicher Dimension bestimmen zu können, wird am Fachgebiet Lichttechnik der Technischen Universität Berlin an einem tragbaren, kamerabasierten Lichtdosimeter gearbeitet. Dieses soll sich am menschlichen Auge orientieren und die Gewichtung der am Auge eintreffenden Bestrahlungsstärke nach den fünf Rezeptoren ermöglichen. Neben dem Einsatz in der Forschung sollen in den nächsten Jahren auch alternative Anwendungen entwickelt werden.
7 Literatur
Souman, J.L.; Tinga, A.M.; Te Pas, S.F.; Van Ee, R.; Vlaskamp, B.N.: Acute alerting effects of light: A systematic literature review. In: Behavioural Brain Research 337:228-239, 2018
Commision International de l‘Éclairage (CIE): CIE S 026/E:2018. CIE system for metrology of optical radiation for ipRGC-influenced responses to light. Vienna (Austria), 2018
Lucas, R.J.; Peirson, S.N.; Berson, D.M.; Brown, T.M.; Cooper, H.M.; Czeisler, C.A.; Figueiro, M.G.; Gamlin, P.D.; Lockley, S.W.; O‘Hagan, J.B. et al.: Measuring and using light in the melanopsin age. Trends Neurosci 37(1):1-9, 2014. doi: 10.1016/j.tins.2013.10.004
Broszio, K.; Knoop, M.; Völker, S.: Tag und Nacht: Gibt es Unterschiede der Richtungsabhängigkeit nicht-visueller Effekte? In: LICHT 2018 – Kreative Beleuchtungslösungen 23. Europäischer Lichtkongress; Kongresszentrum Davos, Schweiz, 2018. doi: 10.14279/depositonce-7363
Liedtke, C.; Völker, S.; Knoop, M.: The light direction and directional light–towards a new quantification of an essential lighting quality criterion. In: CIE Publ. x038:2013 Proceedings of the CIE Centenary Conference, Towards a New Century of Light. (CIE Central Bureau, Vienna, Austria). Ed. by CIE – International Commission on Illumination, 542-551, 2013
Weber, N.; Rudawski, F.; Knoop, M. (2019), Tageslichtforschung Im Herzen Berlins. Der Tageslichtmessplatz am Fachgebiet Lichttechnik der TU Berlin. In: LICHT 71(9):73-75, 2019
Knoop, M.; Broszio, K.; Diakite, A.; Liedtke, C.; Niedling, M.; Rothert, I.; Rudawski, F.; Weber, N.: Methods to describe and measure lighting conditions in experiments on non-image-forming aspects. In: LEUKOS 15(2-3):163-179, 2019. doi: 10.1080/15502724.2018.1518716
Tregenza, P.R.: Subdivision of the sky hemisphere for luminance measurements. In: Lighting Research and Technology 19(1):13–14, 1987. doi: 10.1177/096032718701900103
Commission International de l‘Éclairage (CIE): CIE Publication 108–1994. Guide to recommended practice of daylight measurement. Vienna (Austria), 1994
Liedtke, C.: Quantifizierung der räumlichen Lichtverteilung. Dissertation. Berlin (Germany): Technische Universität Berlin, 2019
Weitere Informationen:
Autoren: Frederic Rudawski, Kai Broszio, Nils Weber und Martine Knoop, Fachgebiet Lichttechnik, TU Berlin
Hinweis: Diese Veröffentlichung basiert auf einem Artikel der Autoren Martine Knoop, Kai Broszio, Aicha Diakite, Carolin Liedtke, Mathias Niedling, Inga Rothert, Frederic Rudawski und Nils Weber, veröffentlicht von Taylor & Francis in LEUKOS am 3. Mai 2019, online verfügbar: www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/15502724.2018.1518716