»Licht aus!« ist auch keine Lösung …
Die Zeiten, in denen der Strom einfach so aus der Steckdose kam, sind abrupt an ihr Ende gelangt. Woher Energie kommt, ist zur nachthaltigen Gretchen-Frage geworden. Das kann nicht ohne Folgen für die Lichtkultur bleiben, die bislang auf die Sonne mit ihrem verschwenderischen Tageslicht fixiert ist.

Die Schlaflosigkeit der großen Städte gilt als Freiheitsversprechen. Der Sieg über die Sonne, den die Futuristen proklamierten, wurde zumindest in den Metropolen eingelöst. Bis dieses Konzept in der menschengemachten Energiekrise an seine Grenzen gestoßen ist. Wo gestern noch Licht die Leute lockte, steht jetzt die bange Frage im Raum, wie viel Licht denn Sünde sei. Symbolpolitiker fahnden intensiv und unerbittlich nach Sündenböcken.
Wenn die Schatten zurückkehren, geht der Mond wieder auf über unserer Lichtkultur. Die Japaner haben das Mondlicht in ihrer Liebe für Laternen und Lampions nie wirklich abgeschrieben. Während das grelle Sonnenlicht blendet, beseelt das sanfte Mondlicht die Welt.

Die jüngste Ausgabe der Digital Live Design-Konferenz (DLD) in München sieht die Zeit reif für eine neue Kultur des Lichtes: Überaus elegante Leuchtskulpturen (Occhio), allein durch Gesten zu steuerndes »Geleucht«, tauchen luxuriöse Rückzugsräume in einen heiligen Schein des Verzichts. High-End-Mystik liegt voll im Retro-Trend, der den Zeitgeist romantisch auflädt. Der wichtigste Mindset-Designer der Romantik war Novalis, der das Mondlicht besang und das Licht am Ende des Tunnels beschwor. Novalis wusste als leidenschaftlicher Bergwerks-Inspekteur um die lebenserhaltende Bedeutung des Geleuchts unter Tage. Die Lichtquelle als Hoffnungsschimmer und Rettung. Etwas Alltägliches durch Poetisieren in etwas Besonderes zu verwandeln, ist die Gestaltungsphilosophie der Romantik. Sie spendet in Krisenzeiten Trost.
Der Hunger nach dem Besonderen, nach »mehr Licht« (angeblich Goethes Sterbeworte) hat die Ingenieure zu Höchstleistungen herausgefordert. Die Lichtindustrie kann auf ihrem technikhistorischen Effizienztrip atemberaubende Erfolge vorweisen. Als Nonplusultra bieten immer neue Generationen von Leuchtmitteln bis aktuell zu den LEDs eine maximale Ausbeute bei minimalisiertem Aufwand. Den Energie-Einsatz für Beleuchtung stellen Klimaanlagen und Rechnerkühlungen längst in den Schatten. Nur deren Verbrauch bleibt abstrakt, während das Licht sichtbar macht und die Kritik an Verschwendung auf sich zieht wie das Licht die Motten.
Eine überraschte Lichtindustrie erneuert und beteuert aus der Defensive heraus ihre Effizienzversprechen. Dabei ist es doch die Effizienz der innovativen Leuchtmittel, die zur milchigen Lichtsuppe in den Großstädten und auch zum Verlust des Sternenhimmels und damit der Verbundenheit mit dem Kosmos beigetragen hat. Licht dringt in immer neue Anwendungsbereiche vor. Gerade das kalte Licht der LED lässt sich gefahrlos – anders als die Produkte des Edison-Zeitalters – mit brennbaren Materialien kombinieren und beleuchtet nicht nur Kühlschränke, sondern Schrankwände und Vorhänge, Textilien und Karosserien, ganze Wände, Decken und Flächen; Fassaden werden zu Screens. Alles, was technisch möglich ist, wird auch gemacht. Das bezeugen Messen wie die Light + Building in Frankfurt. Es ist der sogenannte Rebound-Effekt, der die erarbeitete Effizienz durch die Ausdehnung der Einsatzzonen wieder auffrisst.
Licht gerät darüber ins Zwielicht: Einerseits Symbol der Erleuchtung, der Aufklärung und Selbstbestimmung, andererseits Mittel der Verblendung, der Manipulation und Fremdbestimmung. Effizienz-Denken der Ingenieure allein kann es nicht richten. Es braucht als Counterpart die Lichtdesigner, die Effekte und deren Effektivität beurteilen. Raum-Inszenierungen sind auf Hell-Dunkel-Kontraste angewiesen, um überhaupt wirken zu können. Der Lichtsmog der Innenstädte lässt sie dagegen flach und flau aussehen und beraubt sie um jeden Aha-Effekt. Welche Wirkungen sind wünschenswert, welche Verschwendung oder verzichtbare Potenzgesten, welche gebietet die Sicherheit und welche fördern die Kommunikation der Bürgerinnen und Bürger untereinander? Lichtdesigner brauchen die Dunkelheit für ihre Chiaroscuro-Effekte, die Räume als solche erlebbar machen und nicht nur Oberflächen grafisch flach mit einem Lichtzauberstab dekorieren. In einer Kakovision verschwinden alle Gestaltungsoptionen und der Erfolg frisst schlussendlich seine Akteure.
Der Ruf nach »Licht aus!« klingt nach einfacher Lösung und kurzem Prozess, ist aber eher Teil des Problems, als der Lösung. Die Wechselwirkungen rund ums Licht werden ausgeblendet. Licht ist Leben. Es bringt wenig, abzuwürgen, was man eigentlich schützen wollte. Lichtverhältnisse haben nachhaltige Wirkungen auf die Lebensqualität unserer Wissensgesellschaften, die vom Vertrauen in die Netze und Beziehungen und der Kommunikation aller Akteure leben. Angsträume und Vereinzelungen zu vermeiden, sollte das Licht-Investment wert sein. Auch gut gemeinte Eingriffe zeitigen Wirkungen auf das Sozialverhalten der menschlichen Spezies und ihre Leistungsfähigkeit. In der Pandemie haben wir einen Laborversuch mitgemacht, wie sich Gesellschaften fragmentieren, wenn sich die Lebensumstände durch neue Regieanweisungen verändern.

Was tun jenseits einer hilflosen Symbolpolitik ohne echte Einsparungen? Es hilft wenig, wenn das Licht ausgeschaltet wird, um es dann wieder einzuschalten, wenn das Interesse des Publikums erlahmt ist. Lichtdesigner könnten in ihren Städten Nacht-Rundgänge veranstalten und die Lichtverhältnisse aufräumen. Aufräumen hilft bekanntermaßen in den meisten Krisen. Wie und wo ließe sich die Qualität des Nachtlebens verbessern, wenn das Licht zielgerichtet und nicht diffus eingesetzt würde, wenn doppelte Beleuchtungen etwa durch Straßenlaternen und Schaufenster vermieden würden, wenn Zeitschaltungen und Sensoren das Licht auf tatsächliche Nutzungszeiten oder Anlässe reduzierten …
Beispielgebende Pioniere unter den Lichtdesignern gibt es längst: Mark Major wird nicht müde, die Bedeutung der Dunkelheit für das Lichtdesign zu betonen. Kaoru Mende untersucht mit seinen Light-Detectives die Lichtkulturen der Metropolen und Leni Schwendinger veranstaltet Rundgänge, die für angemessenes Lichtdesign sensibilisieren. Um nur einige zu nennen. Licht-Designer sind nicht nur ihren Auftraggebern verpflichtet, sondern sie haben darüber hinaus eine Treuhänderrolle für die Lebensqualitäten all derer, die sich alternativlos in den menschengemachten Umwelten bewegen.
In der Lichtbranche scheint die Zeit für einen neuen Minimalismus gekommen, der für Qualitäten sensibilisiert und dem »Viel hilft viel« der unterschiedslosen Massenillumination ein sanftes Ende beschert. Die Konzentrationsprozesse in der Branche zeigen, dass ohnehin die Margen für die alten Geschäftsmodelle schrumpfen. Klasse statt Masse ist angezeigt. Eine Reduktion der Lichtquellen, eine Aufwertung und Individualisierung der Leuchtobjekte, gar ein bisschen mehr Lob für das Mondlicht könnten Antworten auf Gretchen-Fragen liefern. »An« oder »Aus« ist die falsche Antwort auf »Sein oder Nicht-Sein«.
Weniger könnte mehr sein – die Eulen der Minerva beginnen ihren Flug in die Dämmerung.
Weitere Informationen:
Zur Person: Helmut Maternus Bien, Erfinder der Luminale zur Light+Building in Frankfurt. Träger des Deutschen Lichtdesign-Preises 2018. Autor und Organisator von Ausstellungen, Festivals und Fachtagungen, Geschäftsführer bei westermann kommunikation, Ingelheim.
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