Planung
Licht 6 | 2019

Licht als Baustoff

Die Lichtplaner Mario Rechsteiner Dorit Anderle im Interview

Seit über 20 Jahren hat sich Mario Rechsteiner dem Thema Licht verschrieben. Zusammen mit Dorit Anderle führt er die art light gmbh mit Sitz in St. Gallen. Das für seine Beleuchtungskonzepte mehrfach ausgezeichnete Lichtplanungsbüro hat acht Mitarbeiter und bearbeitet Projekte unterschiedlichster Couleur, vorwiegend in der Schweiz. LICHT unterhielt sich mit Mario und Dorit über ihre Arbeit, ihre Herangehensweise an Projekte im öffentlichen Raum und last, not least über ihre Empfehlungen für die nächste Lichtplaner-Generation.

Lesezeit: ca. 8 Minuten

LICHT: Mario, wie kamst du auf die Idee, die art light gmbh zu gründen, und wie bist du Dorit als Innenarchitektin zum Licht gekommen?

Mario Rechsteiner: Ursprünglich habe ich eine Lehre als Elektromonteur absolviert, mich anschließend in der Elektrotechnik weitergebildet und dann fünfeinhalb Jahre ein Projektteam für die Gesamtplanung von Industrie- und Verwaltungsbauten geleitet. Dabei wurde mir zunehmend bewusst, dass mir der kreative Aspekt fehlte. Eigentlich wollte ich dann Fotografie studieren, doch mein Umfeld befand, dass ich zu alt sei, um ein neues Studium anzufangen. Licht war das Medium, das mir am meisten Spaß machte, so habe ich berufsbegleitend angewandte Lichttechnik an der TU Ilmenau studiert und mich im Jahr 1997 selbständig gemacht – ganz klassisch am Küchentisch.

Abb.: Bitte Bildunterschrift zu diesem Erweiterung Sportzentrum Gstaad formulieren Bitte Bildunterschrift zu diesem Erweiterung Sportzentrum Gstaad formulieren Bitte Bildunterschrift zu diesem Erweiterung Sportzentrum Gstaad formulieren Bitte Bildunterschrift zu diesem Erweiterung Sportzentrum Gstaad formulieren(Foto: Architekturfotografie Gempeler) Architekturfotografie Gempeler

Dorit Anderle: Schon während meines Innenarchitekturstudiums hat mich das Thema Licht bewegt und beschäftigt. So habe ich mich nach dem Diplom um eine Stelle in einem Lichtplanungsbüro beworben. Ich bekam die Möglichkeit, ein Praktikum bei der Firma Bartenbach zu absolvieren, wurde übernommen und arbeitete mehrere Jahre in einer Projektgruppe in Innsbruck. Die enge Zusammenarbeit zwischen Planung und Entwicklung, das Wissen über Lichttechnik schaffen viel Spielraum für die Projektentwicklung. Das war die Basis für mein lichttechnisches Wissen, die ich auch heute noch sehr schätze. Es folgten viele Jahre bei L-Plan in Berlin als Projektleiterin. 2009 ging es dann nach St.Gallen und die Zusammenarbeit mit Mario begann.

Abb.: Bitte eine Bildunterschrift formulieren Bitte eine Bildunterschrift formulieren Bitte eine Bildunterschrift formulieren Dorit Anderle und Mario Rechsteiner art light gmbh (Foto: bitte Fotograf/Rechteinhaber nennen)

LICHT: In welchen Bereichen ist Euer Büro tätig, gibt es Schwerpunkte?

Dorit Anderle: Wir bearbeiten Projekte aus allen Bereichen. Es ist charakteristisch für unser Büro, dass wir tatsächlich keine Schwerpunktthemen haben. Allerdings häufen sich zurzeit die Anfragen bzw. Planungen für den öffentlichen Raum, wie beispielsweise Straßenbeleuchtungen, Lichtmasterpläne oder die Anstrahlung von Gebäuden.

Mario Rechsteiner: Wir sind aber nicht nur gestalterisch tätig, sondern werden als produktunabhängige Planer auch für Gutachten und Expertisen hinzugezogen. Man schätzt unser lichttechnisches Fachwissen, ebenso wie unsere Neutralität.

Abb.: Bitte Bildunerschrift zu Plan Lumière Luzern formulieren (Foto: Stadt Luzern, Gabriel Ammon) Stadt Luzern, Gabriel Ammon
Abb.: Bitte einen weitere Bildunterschrift zu Plan Lumiere Luzern oder eine gemeinsame Bildunterschrift für Stadtansicht und dieses Bild (Quelle: art light gmbh) art light gmbh

LICHT: Worauf führt Ihr die gehäuften Anfragen für Beleuchtungsprojekte im öffentlichen Raum zurück?

Dorit Anderle: In vielen Gemeinden besteht akuter Handlungsbedarf, die veralteten Straßenbeleuchtungsanlagen zu sanieren und auf effiziente LED-Technologie umzurüsten. Dabei geht es nicht nur um die Auswahl der geeigneten Leuchten, sondern auch um intelligente Steuerungen, die Einbindung übergeordneter Funktionen, das Thema Smart City. Die Gemeinden merken, dass sie das technisch alleine nicht mehr handeln können.

Mario Rechsteiner: Der zweite Aspekt ist, dass dem Thema »Lichtverschmutzung« ein höherer Stellenwert beigemessen wird. Man ist diesbezüglich sensibler geworden; wir erhalten mittlerweile viel häufiger Anfragen zur Beurteilung von Blendung und Lichtemission.

LICHT: Gab es ein Meilensteinprojekt, das Euch zum Durchbruch verholfen hat?

Mario Rechsteiner: Dass wir mit dem »Plan Lumière« für Luzern betraut wurden, war sicherlich ein Glücksfall für uns. Und ein Türöffner ebenso, denn wir haben die Chance bekommen, unser erstes Projekt dieser Größenordnung zu planen und erfolgreich zu realisieren.

Dorit Anderle: Wir haben die Stadt über zehn Jahre bei der Umsetzung des von uns entwickelten Konzepts begleitet. Diese Kontinuität war die optimale Voraussetzung, um, Theorie und Praxis aufeinander abzustimmen.

Mario Rechsteiner: Es kommt auch noch ein Aspekt hinzu, der vielleicht typisch schweizerisch ist. Das ist die Einbeziehung der Anwohner und der Nutzer in einem sehr frühen Stadium. Das fängt bei Informationsveranstaltungen an und geht bis hin zur Abstimmung über die Leuchten, die später an den Fassaden montiert werden sollen.

Dorit Anderle: Wir als Lichtplaner haben direkte Kontakte zu den Nutzern, die ein großes Mitspracherecht haben. Das ist sehr interessant – und zuweilen auch schwierig. So kenne ich es aus Deutschland nicht. Das hat etwas mit der Kultur, der direkten Demokratie hier zu tun. Es ist nicht so, dass nur ein Gremium von zehn Personen entscheidet, sondern tatsächlich die Bevölkerung. Das kann natürlich auch dazu führen, dass es nicht unbedingt einfacher wird, solch ein Projekt umzusetzen.

Abb.: Bitte eine Bildunterschrift zu ortsdurchfahrt Waldenburg formulieren, Bitte eine Bildunterschrift zu ortsdurchfahrt Waldenburg formulieren, Bitte eine Bildunterschrift zu ortsdurchfahrt Waldenburg formulieren, Bitte eine Bildunterschrift zu ortsdurchfahrt Waldenburg formulieren (Foto: ??????????)

AR: Heißt das, dass ihr auch persönlich bei den Bürgern Überzeugungsarbeit leistet?

Mario Rechsteiner: Die Kommunikation mit den zukünftigen Nutzern hat einen extrem hohen Stellenwert, sie ist ein fester Bestandteil im Rahmen der Umsetzung eines Projektes. In der Regel sind wir bei den Informationsveranstaltungen dabei, um kompetent und gezielt Auskunft zu geben.

Dorit Anderle: Ich denke, dass es ein Teil unseres Auftrages ist, die Gemeinde entsprechend zu beraten. Wir versuchen daher auch, solche Infoveranstaltungen gezielt zu planen, um die Bürger mit auf den Weg zu nehmen. Wenn es notwendig ist, besuchen wir auch einzelne Anwohner.

LICHT: »Wir verstehen Licht als Baustoff«, heißt es auf eurer Website. Was bedeutet das für die Lichtplanung?

Mario Rechsteiner: Es war einmal ein Auftrag: Macht eine schöne Beleuchtung! Der Architekt war bei der Wahl der Materialien nicht gerade sensibel – irgendein Kugelgarn als Bodenbelag, Fischgrät-Tapete an der Wand und eine Lochmetalldecke. Das Problem: Man kann zwar eine schöne Leuchte verwenden, aber es wird nie ein schöner Raum werden. Unser Ziel ist es, das Licht wie selbstverständlich in den Raum zu integrieren, als Bestandteil der Architektur und Innenarchitektur.

Abb.: Bitte Bildunterschrift zu Neubau Evangelisches Pflegeheim Heiligkreuz, St, Gallen, in Bearbeitung, Kunstlichtplanung, Projektierung — Ausführung, Bauherr; Verein Evangelische Pflegeheime St. Gallen, Architekt: Allemann Bauer Eigenmann Architekten AG, Zürich (Foto: Hannes Henz) Hannes Henz

LICHT: Um Licht zu integrieren, braucht man entsprechende Lichtinstrumente, die möglicherweise so noch nicht auf dem Markt sind. Arbeitet ihr häufig mit Sonderanfertigungen?

Dorit Anderle: Ich glaube nicht, dass es zwingend notwendig ist, immer Sonderlösungen zu entwickeln. Es gibt heute einen sehr großen Markt mit sehr vielen Produkten. Da kann es durchaus ausreichen, für ein Projekt bereits bestehende Leuchten anzupassen bzw. zu modifizieren. Man muss das Rad nicht immer neu erfinden. Was den Entwurf sicherlich verändert hat, ist die LED-Technologie, weil sich dort auch die Lichttechnik anpassen musste.

Abb.: Bitte Bildunterschrift formulieren zu Neue Stadtschulen, St Gallen, Kunstlichtplanung, Projektierung — Ausführung, Architekt: Klaiber Partnership AG, St. Gallen (Foto: Jörg Zürcher, Jean-Claude Jossen) Jörg Zürcher, Jean-Claude Jossen, jcjavm.com
Abb.: Bitte Bildunterschrift formulieren oder gemeinsame BU mit anderem Foto zu Neue Stadtschulen, St Gallen, Kunstlichtplanung, Projektierung — Ausführung, Architekt: Klaiber Partnership AG, St. Gallen (Foto: Jörg Zürcher, Jean-Claude Jossen) Jörg Zürcher, Jean-Claude Jossen

LICHT: Fühlt man sich als Lichtdesigner heute nicht geradezu im »Planungsparadies« dank der vielfältigen gestalterischen und steuerungstechnischen Möglichkeiten mit der LED-Technologie?

Mario Rechsteiner: Jede Medaille hat zwei Seiten, auch im Paradies. Mit der LED-Technologie zu arbeiten, ist sicher faszinierend. Aber es gibt auch viele Fragestellungen, denen man elegant aus dem Weg geht. Zum Beispiel die Frage der Nachhaltigkeit. Wenn ich sehe, wie Kinder in Indien oder Afrika den Sondermüll/Elektronikschrott entsorgen, den wir hier ansammeln, weiß ich nicht, was das mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Man geht sehr salopp damit um, hört nachher nicht mehr viel, hält ja ewig, heißt es. Dennoch ist es irgendwann Elektronikschrott.

Dorit Anderle: Eine weitere Frage stellt sich im Umgang mit der ganzen Elektronik. Es geht ja nicht mehr nur um das Licht an sich, sondern auch um komplexe Steuerungstechnik. Hier gibt es noch relativ wenige Standards. Unterschiedliche Betriebsgeräte, Steuerungen, Softwareversionen, fehlende Kompatibilität sind immer wieder eine Herausforderung für die Planung.

LICHT: Worauf muss man beim Einsatz von LED-Leuchten besonders achten?

Mario Rechsteiner: Aufgrund der hohen Oberflächenleuchtdichte der LED sollte man der Blendungsbegrenzung größte Aufmerksamkeit widmen. Nicht selten sind die Oberflächen viel zu hell, was zu hoher subjektiver als auch tatsächlicher Blendung führt. Zweitens wird die LED nach wie vor warm, auch darauf sollte man achten. Bei Untersuchungen an der Uni Darmstadt wurden Lebensdauern und Verarbeitungsqualität der LED auf einem Testfeld geprüft. Teilweise sank bereits nach 5.000 Stunden der Lichtstrom auf 70%. Da ist es wirklich eine Kunst, die Spreu vom Weizen zu trennen.

LICHT: Human Centric Lighting (HCL) ist zurzeit in aller Munde. Welche Rolle spielt das Thema für euch?

Mario Rechsteiner: Dieses Thema wird auch bei unseren Projekten öfter miteinbezogen. Durch die noch immer rasante Entwicklung der LED und deren Steuerungen gibt es eine wachsende Anzahl von Produkten, die dieses Marktsegment abdecken. Ich bin überzeugt, dass ein bewusster Umgang mit dem Tageslicht für unseren Körper wohltuender und ökologischer wäre, als zu versuchen, dieses künstlich mit hohem Aufwand nachzubilden.

Abb.: Bitte Bildunterschrift zu Office Building München formulieren. Bitte Bildunterschrift zu Office Building München formulieren. Bitte Bildunterschrift zu Office Building München formulieren. Bitte Bildunterschrift zu Office Building München formulieren. Bitte Bildunterschrift zu Office Building München formulieren. (Foto: Olaf Becker) BECKER LACOUR - Olaf Becker
Abb.: Bitte Bildunterschrift zu Office Building München oder gemeinsame BU mit anderem Foto zu diesem Projekt, Bitte Bildunterschrift zu Office Building München oder gemeinsame BU mit anderem Foto zu diesem Projekt, Bitte Bildunterschrift zu Office Building München oder gemeinsame BU mit anderem Foto zu diesem Projekt (Foto: Olaf Becker) BECKER LACOUR - Olaf Becker

LICHT: Die Energiespardebatte und das Aufkommen der LED-Technologie haben zu größerem Interesse und breiterer Sensibilisierung für Beleuchtungsthemen geführt. Macht sich das bei euren Bauherren bemerkbar?

Dorit Anderle: Die Bauherren haben sich eigentlich nicht stark verändert. Es gibt Auftraggeber, die dem Thema Licht mit hoher Sensibilität begegnen und andere wiederum, die das eher einfach handhaben. Was sich aber verändert hat, ist das Tempo: Projekte müssen immer viel schneller realisiert werden, am besten schon gestern. Die Ergebnisse leiden darunter, dass Zeiten zunehmend kürzer angesetzt werden und man an Fertigstellungsterminen festhält, die trotz längerer Entscheidungsfindung im Vorfeld oder Planungsänderungen nicht mehr gerechtfertigt sind.

Abb.: Bitte Bildunterschrift zu Umbau Kundenhajle Acrevis Bank, St. Gallen, Kunstlichtplanung, Projektierung — Ausführung, Bauherr: Acrevis Bank AG, St. GaIIen, Architekt: Klaiber Partnership, St. Gallen (Foto: Bodo Ruedi) Bodo Ruedi

AR: Was würdet ihr jungen Lichtdesignern, die am Anfang ihrer beruflichen Karriere stehen, empfehlen bzw. mit auf Weg geben?

Dorit Anderle: Möglichst viel Erfahrung sammeln; lernen zu sehen, lernen wahrzunehmen, zu hinterfragen und das für sich umzusetzen. Nicht nur am Schreibtisch mit Relux arbeiten, sondern rausgehen und schauen, egal wo man gerade ist, wie das Licht an diesem Ort, in diesem Raum funktioniert. Licht umfasst eine extreme Vielfalt.

Mario Rechsteiner: Dem gibt es fast nichts mehr hinzuzufügen – außer: Sich auch wieder bemühen, mit Buntstiften zu arbeiten, sich ohne Computer den Raum vorstellen und ihn mit Licht und Ideen füllen. Ähnlich wie eine Theaterbühne, die eigentlich nichts anderes ist als eine schwarze Box.

LICHT: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Weitere Informationen:

Lichtplanungsbüro: art light gmbh, St. Gallen, www.artlight.ch

Das Interview führte Andrea Rayhrer, Stuttgart

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