Intelligenz, die schützt
Die Gemeinde Heiningen geht in Sachen intelligenter Straßenbeleuchtung neue Wege. In einem landesweit einzigartigen Projekt wird die Beleuchtungsstärke der Straßenleuchten entlang der Ortsdurchfahrt nachts dem tatsächlichen Verkehrsaufkommen angepasst. In verkehrsarmen Zeiten kann sie zum Schutz der Insekten heruntergeregelt werden, ohne die Verkehrssicherheit zu gefährden. Ein Novum ist, dass die Tiere über ein intelligentes, kameragestütztes System beobachtet und gezählt werden.

Die zunehmende Lichtverschmutzung ist einer der Faktoren, die zum dramatischen Insektensterben beitragen. Die Insekten werden von künstlichen Lichtquellen angezogen und kommen entweder an den Leuchten selbst um oder umkreisen diese bis zur völligen Erschöpfung, was zu einer erhöhten Sterblichkeit führt.
Die Verminderung der Lichtverschmutzung zum Schutz der Biodiversität ist Ziel des Landes Baden-Württemberg. Daher wurde das Landes-Naturschutzgesetz 2020 entsprechend angepasst. Unter anderem soll das dramatische Insektensterben gemildert oder gestoppt werden – auch an Straßenleuchten. Das Ministerium für Verkehr sucht daher nach neuen Wegen, um die Beeinträchtigung nachtaktiver Insekten durch die Straßenbeleuchtung zu reduzieren. In einem landesweit einmaligen Pilotprojekt der Gemeinde Heiningen in der Ortsdurchfahrt im Zuge der L 1217 soll nun untersucht werden, wie mittels einer intelligenten, bedarfsangepassten Lichtstärkensteuerung die schädlichen Auswirkungen der Straßenbeleuchtung auf die Insekten reduziert werden können, ohne die Verkehrssicherheit zu gefährden. Das Projekt der KI-gestützten adaptiven Straßenbeleuchtung zum Schutz der Biodiversität und zur Energieeinsparung, kurz KISBE, ist zunächst auf ein Jahr angelegt. Das Ministerium für Verkehr des Landes Baden-Württemberg fördert dieses Projekt mit 75.000 Euro aus Mitteln des Sonderprogramms zur Stärkung der biologischen Vielfalt.


Tatsächliches Verkehrsaufkommen bestimmt Lichtstärke
Gemeinsam mit den Projektpartnern Technische Universität Berlin, Netze BW GmbH, Urban Lighting Innovations GmbH, Schréder GmbH und Studio DL untersucht die Gemeinde Heiningen die Auswirkungen unterschiedlicher Dimmlevel der Straßenbeleuchtung auf die Insekten und das Sicherheitsempfinden der Menschen. Die Beleuchtungsstärke soll sich nicht mehr wie bisher nach standardisierten Durchschnittswerten richten, sondern jeweils nach den Erfordernissen des tatsächlichen Verkehrsaufkommens. Durch die Hoheit des Landes auf dieser landeseigenen Straße war das Lichtplanungsbüro Studio DL zunächst an die Norm gebunden. Diese Einschränkungen konnte das Planungsbüro allerdings mithilfe des Verkehrsministeriums aushebeln und so darf man in Heiningen im Rahmen des Pilotprojektes bzw. des Reallabors auch unterhalb der Norm dimmen. Begleitet wird dieses Vorhaben durch die TU Berlin.



Intelligente Technik im Einsatz
Bereits bei der Sanierung der Ortsdurchfahrt Heiningen sind LED-Straßenleuchten installiert worden, die nun um weitere Technik zur adaptiven Lichtsteuerung ergänzt wurden. So erfolgt die Erfassung des Verkehrsaufkommens mittels Verkehrskameras, Bluetooth-Tracker, vorhandenen Echtzeitverkehrsdaten sowie hochauflösenden Mikrofonen. Die daraus gewonnenen Daten werden in einem sogenannten Lichtmanagementsystem weiterverarbeitet, das im Anschluss entsprechende Steuerungen der Dimm-Level der Straßenleuchten vornimmt. So wird die Beleuchtungsstärke entsprechend des reduzierten Verkehrsaufkommens abgemindert. Beleuchtete Fußgängerüberwege sind davon ausgenommen, da diese zur guten Erkennbarkeit von Fußgängern höhere Anforderungen an die Ausleuchtung erforderlich machen.
»Insekten-Tracking« soll Erkenntnisse bringen
Mit einem kameragestützten Insekten-Monitoring-System (»Insekten-Tracking«) soll begleitend untersucht werden, inwieweit sich die reduzierte Beleuchtungsstärke positiv auf nachtaktive Insekten auswirkt. Ein Novum in dieser Studie soll das Zählverfahren der Insekten an den Leuchten sein. Hierbei werden keine Insektenfallen an den Leuchten montiert, sondern Monitoring durch spezielle Kameras und intelligente Software umgesetzt, die die Insektenaktivitäten zuverlässig aufnehmen und mithilfe von künstlicher Intelligenz auswerten können, ohne dabei Lichteigenschaften zu verändern.
Gestalterisch ging es dem Bauherrn, dem Landschaftsarchitekturbüro mquadrat – kommunikative Stadtentwicklung und dem Lichtplanungsbüro Studio DL darum, aus einer Ortsdurchfahrt im Bereich vor dem Rathaus eine kleine Platzsituation zu schaffen. Das Leuchtendesign ist eher schlicht, im Bereich des Rathauses wird bis 22:00 Uhr eine dekorative Beleuchtung dazugeschaltet, um die gewünschte Aufenthaltsqualität zu schaffen.
Das Heininger Projekt ist unter den 37 Finalisten in der Kategorie Nachhaltigkeit für den Innovationspreis Reallabor 2022 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Der Bürgermeister der Gemeinde Heiningen, Norbert Aufrecht, zeigte sich begeistert über das vom Land geförderte Forschungsvorhaben: »Die Erkenntnisse aus diesem Projekt sind zukunftsweisend für die kommunale Straßenbeleuchtung. Wir sind stolz, dass diese innovative, effiziente und vor allem insektenschützende Technik in unserer Gemeinde erstmals umgesetzt wird und wir hier landesweit eine Vorreiterrolle einnehmen.«
Kriterien und Ausblick
Nach welchen Kriterien sollte gedimmt werden? Welche Vorteile für die Energiebilanz und die Umwelt ergeben sich beim professionellen Dimmen? Wie weit lässt sich das Licht absenken? Und mit welcher Sensorik/Erfassung kann man dies sicher und datenschutzkonform bewerkstelligen? Diese und andere Fragen werden derzeit analysiert und geprüft. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass das Projekt auf dem richtigen Weg ist.
Weitere Informationen:
Projektpartner: Technische Universität Berlin, Netze BW GmbH, Urban Lighting Innovations GmbH, Schréder GmbH, Studio DL
Lichtplanung: Studio DL, Hannover I Stuttgart I Warschau I Amsterdam, www.studiodl.com
Leuchten: Schréder GmbH, Brüssel, www.schreder.com
Fotos: Aufmacher Juliane Eirich, andere Fotos: Schréder GmbH