Ein Wald aus Lichtsäulen
Knapp anderthalb Jahre Vorbereitung steckten in der LUMINALE 2020, die vom 12. bis 15. März in Frankfurt und Offenbach hätte stattfinden sollen. Doch kurz vor Beginn musste sie aufgrund des Corona-Virus abgesagt werden. Die Beiträge waren aber schon produziert – mit viel finanziellem Aufwand und künstlerischem Engagement. Zum Glück hatten viele der teilnehmenden Künstler ihre Arbeiten und Projekte im Aufbau oder während erster Generalproben fotografiert und gefilmt. So auch der Designer Jens Pohlmann mit seiner Installation »Warme Töne, kalte Töne«.

Die Johanneskirche in Offenbach am Main ist ein denkmalgeschütztes Gebäude im Stil des Brutalismus und wurde vom Wiesbadener Architekten Rainer Schell in den 1960er Jahren konzipiert. Mit 42 Metern ist der Kirchturm der höchste in Offenbach.
Im Rahmen der LUMINALE -Vorbereitungen stellte sich heraus, dass der kubische Kirchenraum komplett leergeräumt werden konnte und somit den perfekten Rahmen für eine großzügige Lichtinstallation bot. Das erkannten auch der Diplomdesigner Jens Pohlmann und Elektromeister Frank Riesenbürger – beide aus dem Kirchenvorstand der Gemeinde – und meldeten sich zur LUMINALE 2020 an, die alle zwei Jahre parallel zur Light + Building stattfindet.
Das Grundkonzept verbindet verschiedene Lichtstimmungen mit korrespondierender Musik und Kurzvorträgen zum Thema »Warme Töne, kalte Töne«. Nachdem das Thema festgelegt wurde, stellte sich die Frage, wie die entsprechenden Lichtfarben bzw. -temperaturen wirkungsvoll in dem großen, aus Beton und dunklen Backsteinen gebauten Kirchenschiff dargestellt werden können. Es entstand die Idee, weiße Körper im Raum zu verteilen, die aus sich heraus leuchten oder aber Projektionsflächen für darauf gerichtetes Licht bilden. Schnell war klar, dass sich die einfachen, zylindrischen Pendelleuchten der Kirche dazu eignen würden, die Gebilde aufzuhängen und zu elektrifizieren. Da sich die Leuchten über die Sicherungen reihenweise schalten lassen, hätte man beim Wechsel der Lichtstimmungen sogar die Möglichkeit gehabt, die Körper Schritt für Schritt einzuschalten.


Wald aus Eiszapfen
Bei der Suche des Materials – weiß, durchscheinend und sehr leicht – fiel die Wahl auf große Reispapierkugeln, von denen fünf Stück untereinander montiert werden sollten. Von innen beleuchtet, gaben die Schirme angenehm warmes Licht ab. Es entstand ein Wald aus Lichtsäulen. Diese raumstrukturierenden Gebilde sind so zart, dass sie leicht zu pendeln beginnen, wenn man an ihnen vorbeiläuft. Das hätte für belebende Interaktion mit den Bewegungen der Besucher gesorgt.
Die warmen Töne und Materialien verlangten nach einem starken, kalten Kontrast. Nach einigen Experimenten entschied sich der Designer für Schwarzlicht. Nun leuchteten die Papiersäulen bläulich-violett – Assoziationen mit Eiszapfen entstanden. »Mir war es wichtig, dass die Installation durch die Papierschirme nicht zu lieblich wirkt – deshalb wollte ich den ersten, heimeligen Eindruck durch schrilles Licht und belebende Elemente brechen.« Diese Elemente waren Neontapes, die als Raster auf den Boden unter die Leuchten, auf die Orgel und hinter den Altar geklebt wurden und im Schwarzlicht grell erstrahlten. Oder die transparenten Gummibälle, die man als Gymnastikutensil oder Stuhlersatz kennt. Sie glimmen im Schwarzlicht Neonorange, weil sie während des Aufpumpens mit UV-Pigmenten bestäubt wurden. Da die Bälle produktionsseitig mit einem Trennmittel beschichtet sind, klebt das Pigment an der Wand. Dazu entwickelte Pohlmann einen verwirbelnden Vorsatz für die Luftpumpe und fertigte ihn mit dem 3D-Drucker (siehe Abb.). Schon in diesem Stadium konnte man die ersten Auswirkungen der beginnenden Corona-Krise spüren: Die zur Arbeit mit dem Pigment nötigen Atemschutzmasken waren kaum noch zu bekommen. Analog zu den Papiersäulen, sollten auch die Bälle sowohl Licht reflektieren (hier UV-Licht), als auch von innen heraus leuchten. Dazu wurden sie in Schalen mit integrierten LED-Streifen gelegt. Nun waren die Bälle eigenständige Lichtquellen und konnten ganz nebenbei nicht mehr wegrollen. In kompletter Dunkelheit würden die Bälle so stark leuchten, dass ihr gelbes Licht auf die umgebenden Papiersäulen abstrahlt. Eine Lichtstimmung, die an Lagerfeuer erinnert und sich für die Situation anbot, in der die Besucher den Kurzvorträgen lauschen. Während die Musik hier schweigt, würden die »warmen Töne« der eingeschalteten Papiersäulen und die »kalten Töne« des UV-Lichts klanglich von Orgel, Flügel, Marimbaphon, Kontrabass und Chor begleitet. Eine zuletzt hinzugefügte Lichtstimmung erzeugte dramatische Schlagschatten im Säulenwald. Dafür sorgten zwei rote und ein, gegenüber aufgestellter, blauer Scheinwerfer.

Wie bereits beschrieben, kamen dann leider die Folgen der Corona-Krise dazwischen. Am Tag des Beginns der LUMINALE wurde die Veranstaltung sehr kurzfristig abgesagt. Die Installation war komplett aufgebaut, die Musiker hatten geprobt und die Vortragenden ihre Texte vorbereitet. Man entschied sich, die Veranstaltung auf eigene Faust im kleinen Rahmen einer Generalprobe durchzuführen. So sind die abgebildeten Fotos entstanden. »Ich kann verstehen, dass es von Seiten der Organisatoren schwer war, die Gefahrenlage in der beginnenden Corona-Krise realistisch einzuschätzen. Für uns Gestalter und die vielen kleineren Gruppen und Vereine, die die Lichtinstallationen teils aus eigener Tasche finanziert haben, war die zu kurzfristige Absage ein teures und zeitaufwendiges Desaster«, sagt Jens Pohlmann, der auch Mitinhaber des Designstudios speziell® ist. Doppelt ärgerlich: Auf der verschobenen Fachmesse Light + Building hätte eine neue Leuchte des Designbüros präsentiert werden sollen. So blieb den Akteuren nur die Präsentation im Rahmen der Generalprobe und die Dokumentation anhand von Bildern und Beiträgen.
Weitere Informationen:
www.speziell.net
Projekt auf LUMINALE digital: https://li.rpv.media/v-
Fotos: Jens Pohlmann