Ein »Lichtwagon« für Pendler
Zwischen 20 und 60 Minuten pro Tag verbringen wir beim Pendeln in öffentlichen Verkehrsmitteln. In ihrer Masterarbeit greift Anna Wawrzyniak diese Thematik auf und hat einen Lichtwagon konzipiert, bei dem mit der richtigen Lichtdosis der zirkadiane Rhythmus unterstützt werden soll.






Ein moderner urbaner Lebenswandel bedingt, dass Menschen 90% der Tageszeit in Innenräumen mit geringen Lichtintensitäten verbringen. Dies führt zu einem (Tages-)Lichtdefizit, das sich negativ auf den Schlaf-Wach-Rhythmus, auch zirkadianer Rhythmus genannt, und damit auf die Gesundheit auswirken kann. Der Megatrend der Urbanisierung verstärkt dieses Defizit noch zusätzlich durch lange Arbeitswege in die Innenstädte. Durchschnittlich 20-60 Minuten pro Tag verbringen Europäer*innen beim Pendeln in öffentlichen Verkehrsmitteln. In New York sind es sogar 87 Minuten Diese Zeit könnte genutzt werden, um zum richtigen Zeitpunkt die richtige Dosis qualitativen Lichts zu erhalten und so den zirkadianen Rhythmus zu stabilisieren. Ist der endogene (innere) Rhythmus im Einklang mit dem exogenen (24h-Rotation der Erde), wirkt sich dies positiv auf Wohlbefinden, Gesundheit und Produktivität aus. Besonders Nutzer*innen des ÖPNV in U-Bahnen könnten von der Integration des sogenannten »Human-Centric-Lighting«-Konzepts aufgrund des kaum vorhandenen Tageslichteintrags profitieren.
Um gezielt auf die Bedürfnisse der Nutzer*innen eingehen zu können und eine effiziente Lösung für die kurze Verweildauer zu generieren, liegen der Studie eine Literaturrecherche, Nutzerbeobachtungen und Vergleichsmessungen zugrunde. Besonders der Zeitpunkt der Lichtexposition im Tagesverlauf, die Dauer, der Einfallswinkel in Kombination mit der Leuchtdichteverteilung, die Intensität und die spektrale Komposition des Lichts sind ausschlaggebend für positive Effekte. In enger Zusammenarbeit mit der Hamburger Hochbahn flossen die Ergebnisse der Recherche in die fiktive Umgestaltung eines einzelnen Wagons der neuesten DT5-Flotte ein. Der »Lichtwagon« bietet Pendler*innen zur Rush-Hour eine Art »Lichtdusche« auf freiwilliger Basis ohne dabei z. B. Schichtarbeiter*innen negativ zu beeinflussen.


Morgens – Mittags – Abends
Morgens (6:00-9:00 Uhr) unterstützt helles, neutralweißes Licht den Rückgang des Melatoninspiegels und begünstigt Wachheit und Aktivität. Die Lichtszenen nutzen ein an der Decke und den Seitenwänden montiertes Lichtsystem, das hohe vertikale Beleuchtungsstärken generiert. Eine ausgewogene Leuchtdichteverteilung im oberen Halbraum weitet die Pupillen und sorgt für eine hohe Lichtaufnahme. Leichte Dynamiken der leuchtenden Flächen stimulieren die photosensitiven Ganglienzellen zusätzlich. Um die Fensterrahmen ergänzt statisches, blaues Licht (ca. 480 nm) von geringer Intensität die Szene. Das monochromatische blaue Licht ermöglicht Einsparpotentiale bei der Intensität des weißen Lichts. Die Leuchtflächen können zusätzlich mit Grafiken zur Fahrgastinformation bespielt werden.
Die Abendszene zwischen 16:00 und 19:00 Uhr sorgt für eine entspannende Atmosphäre, ohne schläfrig zu machen. Studien zeigen, dass nicht nur blaues Licht die Wachsamkeit steigert, sondern auch rotes Licht (ca. 630 nm) in geringen Intensitäten von ca. 40 lux vertikal aktivierend wirkt. Im »Lichtwagon« mischt es sich um die Fensterrahmen mit gedimmtem, warmweißen Licht. Pendler*innen können den Arbeitsstress hinter sich lassen, um Energie für den Feierabend zu sammeln.
In den Stunden zwischen dem Aufwachlicht und der Abendanwendung fährt der »Lichtwagon« mit einer Standardbeleuchtung, die nur einen Teil der LED-Module nutzt und den Wagen normgerecht illuminiert. So wird die benötigte Energie ressourcensparend und dabei effizient eingesetzt. Am Wochenende sind andere Szenarien denkbar, wie z. B. künstlerische Lichtinstallationen, die besonders Touristen und junge Menschen anziehen. Farbige Lichtszenen bespielen den Wagon, das Deckenlicht wird auf einen warmen Weißton gedimmt.
Positive Effekte
Die tägliche Nutzung des »Lichtwagons«, besonders während der dunklen Jahreszeit, kann Stimmung, Gesundheit und Produktivität verbessern. Somit könnte mit einer geringen Investition eine große Zahl der Bevölkerung von den positiven Effekten integrativer Lichtplanung profitieren. Ein »Licht-pro-Kopf-Verhältnis« von vier Personen pro Quadratmeter ist effizienter als übliche Human-Centric-Lighting Büroanwendungen (1 Person/15m²). Der jährliche Stromverbauch eines »Lichtwagons« liegt bei ca. 2.250 kWh, vergleichbar mit dem eines durchschnittlichen Singlehaushalts. Der Einsatz eines »Lichtwagons« kann als besonderes Merkmal eines frei zugänglichen öffentlichen Nahverkehrs eine positive Signalwirkung entfalten, die die Wahrnehmung öffentlicher Verkehrsmittel verbessert und mehr Menschen zu deren Nutzung bewegt. Die prägnante Gestaltung des »Lichtwagons« kann ein Bewusstsein für den Nutzen von innovativem Lichtdesign schaffen und über die Wirkung von (Tages-)Licht auf den menschlichen Körper informieren.


Weitere Informationen:
Quelle/Text und Grafiken: Anna Wawrzyniak, BA Innenarchitektur (2017, Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle), MSc Architectural Lighting Design (2019, KTH Royal Institute for Technology Stockholm): Masterarbeit: »A Light booster metro car for the commuting work force – human centric lighting in underground transportation«. Seit 2019 bei Peter Andres Lichtplanung – Unabhängige Lichtplanung und -beratung GbR.