Ein Industriedenkmal wird zum Kulturquartier
Im Jahr 1910 baute die Stadt Augsburg ein neues, größeres Gaswerk außerhalb der Stadt, das unter anderem aus dem sogenannten Ofenhaus und dem über 80 Meter hohen Gaskessel besteht. Nach der Stilllegung 2001 stand die Zeit am Industriestandort im Augsburger Westen fast 20 Jahre still. Seit 2017 bauen die Stadtwerke Augsburg das Industriedenkmal zum Kultur- und Kreativquartier um. Neben der Brechtbühne des Staatstheaters Augsburg und dem Restaurant im Ofenhaus haben auch viele Kreative, Künstler und Musiker eine neue Schaffensheimat gefunden.

Gestaltungsansatz Lichtplanung und Philosophie Innenarchitektur
Die Philosophie, dass sich an diesem Ort Industrie- und Baugeschichte mit der zeitgenössischen Kultur treffen, bedingte für das Planungsteam, dass dieser Raum aus sich heraus entwickelt werden musste. Hierbei galt es, eigene Assoziationsketten bei den Einzelaufgaben, im Theater-Foyer, der Gastronomie, der Galerie mit Bewirtung sowie Kulturfläche und Künstlertreffpunkt, in einen spannungsreichen und eleganten Kontrast zum »groben« Baudenkmal Augsburger Industriegeschichte zu bringen.
Der vollständig entkernte Hauptraum im ehemaligen Ofenhaus mit einer Grundfläche von 34 m x 12 m und einer Raumhöhe von etwa 19 m hat eher die Dimension einer Kathedrale als die eines Theaterfoyers oder Restaurants. Ursprünglich füllten den Raum mehrere raumhohe Öfen zur Gewinnung von Stadtgas aus Steinkohle aus. Der energiehungrige, schmutzige Prozess erforderte viel Hitze und erzeugte Dampf, der bis heute gut sichtbare Spuren hinterlassen hat. Spuren, die auch weiterhin sichtbar bleiben sollten.
Auf der ca. 420 m2 großen Grundfläche des Erdgeschosses sollten entsprechend dem vorgegebenen Nutzungskonzept die Funktionsbereiche eines Theaterfoyers mit Kasse und Garderobe entstehen. Für die ca. 200 m2 der neu eingezogenen Galerieebene, die den Zugang zur neuen Brechtbühne des Staatstheaters Augsburg bildet, sollten Aufenthaltsbereiche und eine kleine Pausen-Bar Platz finden. Aber auch ein eigenständiger Gastronomiebereich mit über 100 Sitzplätzen und einer großen Bar und Lounge soll unabhängig vom Theaterbetrieb zukünftig viele Gäste in das neue Kunst- und Kulturviertel auf dem Gaswerksgelände locken.


Raue Industriearchitektur trifft auf zeitloses Design
Die überdimensionale Raumhöhe war von Beginn an die buchstäblich größte Herausforderung und musste im Gestaltungskonzept der Innenarchitektur noch mit weiteren außergewöhnlichen Vorgaben in Einklang gebracht werden. So verfolgten die Planer die Idee, die raue Industriearchitektur aus den Anfängen des letzten Jahrhunderts mit zeitloser Designgeschichte in Einklang zu bringen, überdimensionale Raumstrukturen mit angenehm spürbarer Geborgenheit zu verbinden, die Brutalität der ehemaligen Stadtgasgewinnung mit feiner Kunst und kulinarischer Kultur zu einer neuen Einheit zu verschmelzen. Während der intensiven Phase des ersten Konzepts und der Ideenfindung wurden zwischen dem Innenarchitekturbüro Kolb und dem Lichtplaner Stephan Meyer eine Reihe von Assoziationsbögen gespannt, welche die Basis für das spätere Gesamtkonzept bildete. Neben dem feinen Umgang mit Materialien, Formen, Oberflächen und Texturen in der Möblierung, die die bestehende Raumschale mit Theater und Gastronomie zusammenfasst (roher Putz, Stahl, Beton zu Messing, Samt, Eichenholz, walzblanker Stahl, handgefertigte Fliesen) war der Umgang mit Lichtzonen und Lichtstimmungen ein entscheidender Punkt, um die übermächtige Raumdimension einzufangen.
Das Bild einer sommerabendlichen Piazza in einer italienischen Renaissancestadt konnte die Idee bei der Präsentation vor der Geschäftsführung der SWA-Holding und der KreativWERK GmbH als Entwicklungsgesellschaft gut vermitteln. Der abendliche Himmel mit seiner Unendlichkeit war die dunkel gestrichene Decke in 19 m Höhe, die hohen Kirchtürme und die die Piazza einfassenden Gebäude mit ihren beleuchteten Fassaden und Lichtern in der Fassade entsprachen den Tragwerkssäulen der Halle und den markanten historischen Fensterflächen des Ofenhauses. Und zum Wohlfühlen sitzen die Gäste unter breiten Schirmen in den Restaurants und Cafés auf der Piazza. Auch hier bleibt das Licht stets nah am Menschen. Schirme und Pflanzen bilden einen Abschluss vor der Höhe des freien Himmels. Für diesen Abschluss nach oben wurde die für den Raum so entscheidende transparente Metallgewebe-Wolke entwickelt. Im Ofenhaus-Konzept war schnell die Assoziation zum Wasserdampf der ursprünglichen Stadtgasgewinnung gefunden, aber auch der Rauch der Zigarre eines Bertold Brecht stand als Interpretation offen.

»Dampfwolken« bilden sich …
In mehreren Schritten wurden zusammen mit dem Metallbildhauer Gerold Sauter aus verschiedensten Mustermaterialien immer bessere Wolken geformt. Das feine Zusammenspiel von Transparenz, Luftigkeit und Materialität, sowie die Funktion als Projektionsfläche für eine Vielzahl von Lichtstimmungen wurde an immer größeren Modellen auch auf technische Umsetzbarkeit geprüft. Abschließend präsentierte man den Verantwortlichen von SWA und Staatstheater ein 1:1-Modell in der Größe eines 20-%-Ausschnittes über der 14 x 5 m großen Wolke in den ebenfalls historischen, hohen Räumen der Firma Steiner Metalltechnik. Zusammen mit den Möbel- und Oberflächenmustern des Innenausbaus sowie einer Muster-Lichtinszenierung der Wolke konnte der Auftraggeber Anfang September 2018 von dem außergewöhnlichen Gesamtkonzept restlos überzeugt werden.
Licht, Material und Oberflächen im Einklang
Neben den vielen Herausforderungen der Umwidmung eines rohen, leer geräumten Industrieraumes waren auch eine Reihe technischer Herausforderungen zu bewältigen – beginnend bei der Personenführung in zwei unterschiedliche Bereiche, Theater und Gastronomie, den Auflagen einer Versammlungsstätte, den Anforderungen an Klima und Akustik, Brandschutz, Fluchtwege und vielem mehr. Zu keinem Zeitpunkt hatten die Beteiligten der Innenarchitekturplanung und der Architekt Eberhard Wunderle es aufgegeben, den Menschen als wichtigsten Maßstab allein im Raum stehen zu lassen. Und so ist auch auf der Galerieebene vor der immer noch 14 m hohen Innenwand eine weitere optische Zwischenebene entstanden. Durch den Kunstgriff, eine als große Kranbahn-Laufschiene ausgeformte 35 m lange Stahlkonstruktion in 4,5 m Höhe zu platzieren, konnten die notwendigen Leuchten für die Beleuchtung der Galeriefläche inklusive der Strahler für zukünftige Bilderausstellungen fast unsichtbar verbaut werden. Diese bilden auf der Galerie eine angenehme, räumlich begrenzte Lichtstimmung trotz der spürbaren Höhe des Raumes.
Der Blick von der Galerieebene kann im großen Raum viel entdecken, die fantastische Fensterfront nach Süden und Westen, nachts magisch ausgeleuchtet, die Raumschale mit den markanten Säulen und schließlich die transparente Wolke, die in ihrer magischen Dreidimensionalität den allzu neugierigen Blick in den Gastronomiebereich und auf die Gäste abfängt, aber gleichzeitig wie durch einen Schleier dezente Einblicke gewährt. Die rohen Messingtischplatten reflektieren das warme Licht der Pendelleuchten zurück nach oben, der Gastronomieraum unten ist klar strukturiert und einladend gestaltet. Möbel, Oberflächen und Licht bilden immer eine verständliche Einheit mit angenehmen Zonen: ob die Lounge auf dem Podest mit einem kräftigen Ornament-Teppichboden, die Gastronomiefläche mit dem Wechsel aus raumformenden Sitzbänken oder die lose Möblierung aus Designklassikern und dem Künstler-Separee unter der Galerie. Alles wird von dezentem Licht an den Rückwänden eingerahmt, das sogar den rohen Putz samtig erscheinen lässt.

Perfekte Integration der Lichttechnik
Erst durch die perfekte Integration von Lichttechnik in Gebäude- und Technikelemente konnte die Vielzahl an notwendigen Leuchten versteckt oder in optisch einfachen, aber lichttechnisch sehr flexiblen Projektleuchten verbaut werden. Das Ziel des Lichtplanungskonzepts war immer das Licht, weniger die Leuchte. So wurde die gesamte Lichttechnik für die Up-Light-Lichtinszenierung der Raumschale in einfachen, superflachen Leuchtenkästen auf der Kabeltrasse hinter Lüftungsrohren versteckt oder ganz unsichtbar in der Kranbahn-Laufschiene. Hochwertige, kardanisch gelagerte LED-Strahler mit Wechsel-Optiken, sowie eine maßvolle Lichtsteuerung machen es möglich, dass auf Basis einer differenzierten Lichteinrichtung (Ausrichtung der Strahler, Auswahl passender Optiken und Filter, Definition von Basis-Lichtszenen) der Nutzer des Raumes – ob Gastronom, Theater- oder Veranstaltungstechniker – noch entscheidenden Einfluss auf die sehr unterschiedlichen Lichtstimmungen nehmen kann. Alle Leuchten für die Raumbeleuchtung werden über DALI gedimmt. Für die Farbakzente der Raumschale sowie die Inszenierung der Lichtwolke werden die RGB-Strahler auf DMX-Basis angesteuert. Die DMX-Steuerung wird entweder über das KNX-Gateway mitgesteuert oder kann von einer unabhängigen DMX-Steuerung angefahren und so z. B. in die Theater- oder Veranstaltungstechnik integriert werden.

Ein Licht, das sich nicht in den Vordergrund drängt
Der System- und Projektleuchtenhersteller Korona Leuchten GmbH mit CEO Stephan Meyer fand für jede Herausforderung eine lichttechnisch optimierte Lösung, die sich nie in den Vordergrund drängte, und entwickelte diese weiter. Faktisch war der Raum eine riesige Projektionsfläche, die mit Licht inszeniert werden sollte. Engbündelnde Hochleistungs-LED-Spots überbrücken die großen Strecken, denn kaum ein Zielpunkt der Strahler lag näher als 16 m entfernt. Dies war auch ein Grund, warum Sonderlösungen entwickelt werden mussten, denn der begrenzte Budgetrahmen erforderte bei hochwertiger Lichttechnik ein Minimum an Leuchten-Gehäusekosten. Auf Basis von Light-Engines mit Snap-Optiken der Firma Soraa wurden kardanisch gefasste Light-Tubes in einfache Blechkantteile individuell an bestehende Technikelemente angepasst und integriert. Die notwendigen LED-Treiber wurden in kompakten, vorverdrahteten Trafoboxen zusammengefasst, so dass eine Montage vor Ort möglich war – in einem engen Zeitfenster von weniger als vier Wochen.


Ein weiteres wichtiges Raumelement sind die alten großen Industrieglasfenster auf der Süd- und Ostseite. Sie geben dem Raum innen, wie auch dem Gebäude von außen sein charakteristisches Erscheinungsbild. Tagsüber durchflutet das Licht den Raum und lässt ihn erstaunlich hell wirken. Am Nachmittag bis zum frühen Abend zeichnen sich wunderbare Lichtspiele der Sonne durch die Fenster im Raum und an den hohen Wandelementen ab. Nachts wird die gesamte Fensterfront dezent mit warmtonigem Licht bespielt. Hinter den alten Stahlrahmenfenstern, überwiegend noch mit Originalgläsern und entsprechend variantenreich wie ein Kirchenfenster, wurde im Zwischenraum zu den neuen Isolierglasscheiben eine für jedes Fenster individuelle LED-Linienstruktur angebracht, die immer nur Teile des Fensters indirekt und unsichtbar ausleuchtet. Hierdurch entsteht eine lebendige Lichtfassade, welche dem Gebäude nachts von außen den Anschein eines magischen Leuchtens der charakteristischen Fensterfassade gibt, und innen die sonst schwarz wirkenden Fenster wie festlich von Kerzen beleuchtet erscheinen lässt.
Für die Funktionsbereiche wurden maximal reduzierte Gestaltungsstatements entworfen, wie die 6 m hohen Lichtstelen im Foyerbereich, die ähnlich wie Straßenlaternen einen Platz beleuchten. Oder die Vielzahl an reduzierten Pendel- oder Anbauleuchten, die in der offenen Technikdecke zwischen Klimatechnik, Lüftung und Installationstrassen einen abwechslungsreichen warmen »Lichtteppich« auf den kühlen Industrieboden werfen. Als kleines gestalterisches Detail wurden alle Leuchten unter der Galerieebene mit einem rotem Textilkabel ausgestattet, welche mittels besonderer Federstahl-Klipse individuell an den als Installationsebenen unter dem Akustikputz angebrachten, silbernen Baustahlmatten eingehängt wurden und somit auch jederzeit umgehängt werden können.

Für den Gastronomiebereich unter dem »freien Himmel« wurden für die notwendige Tischbeleuchtung von der Innenarchitektin passende Pendelleuchten ausgewählt, die an filigranen blanken Stahlrohren in der Möblierung fixiert sind. Einer Theaterspielstätte angemessen sind diese Sitzbänke und Wandpaneele mit Samt bezogen und zusätzlich im Bereich der Wandabschlüsse dezent hinterleuchtet. Diese durchaus etwas glamouröse Theatralik ergibt nicht nur intime Sitzzonen, sondern sorgt auch für eine hervorragende Akustik.
Es war für die Innenarchitektur und die Architektur von großem Vorteil, dass alle beteiligten Planer und Gestalter immer das große Ganze im Auge behalten haben und flexibel aufeinander eingegangen sind. Eine starke Idee mit guten Bildern stand bereits am Anfang fest, wurde optimiert und konsequent durchgezogen. Für die Ausführung fand man engagierte Firmen und einen mutigen Bauherrn mit einer starken Projektleitung, die immer an die »Kreativen« im Projekt geglaubt hatten. Das Projekt wurde mit dem German Design Award 2020 »Winner« in der Kategorie »Excellent Architecture« ausgezeichnet. In der Jurybegründung wird u. a. auf die »sorgfältige Lichtgestaltung« eingegangen.
Abschließend bleibt zu sagen, dass das beste Konzept nur dann trägt, wenn es im Team und von den Auftragnehmern perfekt umgesetzt und letztendlich durch Licht sichtbar gemacht wird. Das sollte doch die perfekte Voraussetzung sein, um künftig zahlreiche und begeisterte Menschen auf das Gaswerksgelände in Augsburg zu locken.



Weitere Informationen:
Projekt: Gaswerk Augsburg, August-Wessel-Str. 30, Augsburg, www.gaswerkaugsburg.de
Fläche: 420 m2 Erdgeschoss, 200 m2 Galerie + Nebenräume
Umsetzungszeitraum Innenausbau: Konzept Ende März 2018 / Eröffnung 11. Januar 2019
Bauherr: SWA Kreativwerk GmbH & Co.KG, Augsburg
Innenarchitektur und Konzeptleitung: Innenarchitekturbüro Kolb, Dipl.-Ing. Margarete Kolb, Innenarchitektin und Team, Augsburg, www.buero-kolb.de
Gebäudesanierung, Neubau, Parkgarage: Architekturbüro Wunderle + Partner Architekten mbB, Dipl.-Ing. Architekt Eberhard Wunderle, Neusäß, www.wunderle-partner.de
Lichtplanung, beratende Raumgestaltung: Stephan Meyer (Korona) System und Sonderleuchten, Korona Leuchten GmbH, Augsburg, www.korona-licht.de
Luftskulptur mit Kinetik: Umsetzung: Gerold Sauter, Mag. of Art, Metallbildhauer, Steiner GmbH, Augsburg, www.metallbildhauer.com, www.steiner-augsburg.de
Historische Objekte: Freunde des Gaswerks
Text: Stephan Meyer, ergänzt mit Konzeptkommentaren von Margarete Kolb, Innenarchitektin
Fotos: s. Abbildungen, Eckhart Matthäus Fotografie, https://www.em-foto.de und Korona Leuchten