Der Peitschenmast
Kaum eine andere Straßenleuchte wie der sogenannte Peitschenmast prägte und prägt noch immer das Stadtbild der Metropolen. Die Entwicklung von Masten mit weitausladenden Auslegern für die Straßenbeleuchtung ist die Antwort auf die einsetzende Massenmotorisierung in den späten 1920er Jahren. Zur Steigerung der Verkehrssicherheit versetzte man den Lichtpunkt zur Straßenmitte hin. Die Autorinnen Bettina Raetzer-Grimm und Sabine Röck beschreiben in ihrem Artikel die historische Entwicklung der Peitschenmastleuchte.
Die Entwicklung von Masten mit weitausladenden Auslegern für die Straßenbeleuchtung ist hauptsächlich in der seit den späten 1920er Jahren in den Weltstädten einsetzenden Massenmotorisierung des Straßenverkehrs begründet. Seit dieser Zeit wird der motorisierte Verkehr in den Städten zum bestimmenden Element des Stadtbildes und schließlich auch des Städtebaus. In den 1920er und 1930er Jahren beginnt sich der Verkehr als Dominante in der Planungspraxis durchzusetzen. Die Verkehrsplanung konzentriert sich vorrangig auf den Bau neuer Hauptverkehrsstraßen und großer Durchbruchsstraßen, die der verkehrlichen Entlastung vorhandener kleinerer Straßen dienen sollen. Zur verkehrstechnischen Bewältigung des dichteren Verkehrs und zur Steigerung der Verkehrssicherheit in Hauptverkehrsstraßen und breiten Straßen mit mehreren Fahrspuren, war man bereits in den 1920er Jahren der Meinung, dass die Versetzung des Lichtpunktes zur Straßenmitte hin der richtige Weg sei, was bisher nur aufwändig mittels Hängeleuchten an Überspannungsanlagen möglich war – für Maste mit weitausladenden Auslegern fehlte es noch an Angeboten. Vielfach machen ältere Maste mit aufgestockten weitausladenden Auslegern den Anfang.

Eine bahnbrechende ingenieurstechnische Entwicklung weitausladender Ausleger für die Straßenbeleuchtung erfolgt bei der Städtische Gaswerke AG1 (Berlin). Ihre neuen gasführenden Stahlmaste werden ca. 1934 auf ihrem firmeneigenen Versuchsgelände im Außenbereich in der Torgauer Straße in Berlin-Schöneberg aufgestellt und dort im Praxistest mit den altbewährten Pressgas-Hängeleuchten erprobt. Pressgaslampen sind lichttechnisch seinerzeit den neuen, auf dem Markt befindlichen, modernen elektrischen Leuchtmitteln ebenbürtig, jedoch ökonomischer und somit kostengünstiger zu betreiben. In dieser Kombination kommen sie ab 1935 bei der öffentlichen Beleuchtung Berlins zum Einsatz (z. B. in der Kleiststraße, an der Charlottenburger Chaussee und auf dem Wittenbergplatz). Der Abstand der Lichtmaste richtet sich nach den Anforderungen, die an die Beleuchtung der Straße zu stellen sind. Im Allgemeinen wird eine doppelreihige Anordnung im Zickzackverband gewählt. Die Lichtmaste werden 60 bis 80 cm von der Bordsteinkante aufgestellt, um Beschädigungen durch Fahrzeuge zu vermeiden. Die Lichtpunkthöhe überschreitet selten 6 m, da die Bedienbarkeit der Lampen durch zu schwere Leitern schwierig wird. Ausladungen bis zu 2,5 m bewähren sich.

Der moderne Peitschenmast in der uns heute bekannten Form entsteht
Der Peitschenmast ist eine Entwicklung der Gasindustrie. Der Zeitpunkt der Entstehung des modernen Peitschenmastes kann nicht auf ein bestimmtes Jahr festgelegt werden. Offiziell vorgestellt wird erstmals ein mit Gas führender Peitschenmast unter dem Begriff Auslegermast mit einer Ansatzleuchte der Firma Rech Laternen GmbH, Köln, »Modell Modern«, im Jahr 1937 auf der Großen Reichsausstellung »Schaffendes Volk« in Düsseldorf, der wichtigsten, auch nach außen hin bedeutendsten Propagandaschau Deutschlands während des Nationalsozialismus. Der DVGW (Deutscher Verein des Gas- und Wasserfachs) veröffentlicht hierzu einen Artikel. Bereits ein Jahr zuvor wurde in einem Blatt einer Bildermappe der Hamburger Gaswerke G.m.b.H. (H.G.W.) ein Peitschenmast – Lichtträger Modell: »Stralsund« – auf das Jahr 1936 datiert.

Das Katalogblatt der Firma BAMAG (Berlin-Anhaltische Maschinenbau Aktiengesellschaft) aus dem Jahr 1938 (Abb. 4) zeigt neben ihrer Vorgängerentwicklung eines weitausladenden Lichtmastes (links) den modernen nach dem Goldenen Schnitt gestalteten Peitschenmast (mit der Ansatzleuchte BAMAG U11). Es ist möglich, dass die BAMAG schon vor 1938 einen Peitschenmast entwickelt hatte. Der BAMAG-Peitschenmast ist mit oberseitigem Leitereisen versehen, jedoch wird bald im Sinne einer formvollendeten Gestaltung, das hierfür als störend empfundene Leitereisen weggelassen (siehe Abb. 4, links und Mitte). Anstelle eines Leitereisens sind hier: »(…) unauffällige Rundeisenbügel zum Einhängen der Laternenleitern angeschweißt, um eine Beeinträchtigung des Aussehens zu vermeiden.«2


Peitschenmast und Ansatzleuchten
In den 1920ern Jahren entsteht eine neue Gattung an Leuchten. Nach den Aufsatz- und Hängeleuchten wird die Ansatzleuchte entwickelt. Die Begriffe »Ansatzleuchte«, »Ansatzgeleucht«, »Auslegerlampe« oder auch »Anflanschgeleucht« tauchen gegen Mitte der 1930er Jahre in Fachkreisen auf, jedoch wurden bereits in den 1920er Jahren deutschlandweit Gas-Aufsatzleuchten verschiedener Hersteller in Montage als Ansatzleuchten, an Mastauslegern oder an Wandarmen, für die öffentliche Beleuchtung eingerichtet. Erste gebogene Ausleger haben noch eine sehr geringe Ausladung. Seit 1933 kommt die Ansatzleuchte BAMAG U11 bei der Straßenbeleuchtung der Stadt Hamburg zum Einsatz. Diese Ansatzleuchte ist quasi die größere Schwester der Aufsatzleuchte BAMAG U7, deren Entstehung ca. auf das Jahr 1928 zurückgeht. In Kombination mit dem gasführenden Auslegermast (Peitschenmast), haben die Ansatzleuchten ihren ausgereiften Entwicklungsstand um 1937 erreicht, wie aus einem Sonderdruck der Zeitschrift »Gas« mit einem Bericht über die Ausstellung »Schaffendes Volk« hervorgeht.


Der Einsatz des modernen Peitschenmastes mit Ansatzleuchte in den 1930er Jahren
Die Verbreitung des Peitschenmastes mit Ansatzleuchte in Deutschland in den 1930er Jahren ist nicht hinreichend erforscht. Ein Beitrag von Henry Brechler (in: Das Gas- und Wasserfach, 82. Jg., 1939) gibt jedoch unter anderem interessante Aufschlüsse über den Einsatz und die Erprobung für die Straßenbeleuchtung in Königsberg i. P. und weist auf Anwendung für Fernstraßen hin: »Nach Auswertung der vorliegenden Erfahrungen stellen wir fest, daß der gasführende Stahllichtmast mit Ansatzgeleucht (…) für unsere Verhältnisse (die extremen Witterungsverhältnisse im Winter in Königsberg i. P., Anm. die Autorinnen) das geeignetste ist. Selbst in den strengen Frosttagen des Winters 1938/39 haben die Geleuchte einwandfrei gearbeitet. Um zu einer möglichst einheitlichen Straßenbeleuchtung zu kommen, was auch für die Bedienung wesentlich ist, stellten wir drei Grundformen von Lichtmasten auf, die in Bild 1 (Abb. 5) wiedergegeben sind und bisher in allen normalen Fällen genügten. (…) So werden hier zur Zeit gasführende Stahlrohrmaste für Lichtpunkthöhen von 4,5 m, 5,0 m und 6,0 m verwendet. Die erstgenannten Maste werden mit Ansatzgeleuchten von 4 bis 6 Flammen, die weiteren mit 6 bis 9 Flammen und die letztgenannten mit 9 bis 12 Flammen bestückt. Die Geleuchte mit 4,5 m Lichtpunkthöhe werden vornehmlich in Vororten oder neu entstehenden Siedlungsgebieten sowie in Straßen mit dichtem Baumbestand verwendet. Besonders dort, wo die Straßen schmal sind und einen dichten Baumbestand aufweisen, deren Kronen ineinanderreichen, sind größere Lichtpunkthöhen selten angebracht. In diesen Fällen haben wir mit 6flammigen Leuchten, die im Zickzackverband mit einem Abstand von 20 bis 25 m aufgestellt sind, sehr gute Ergebnisse erzielt. Die Lichtmaste für die größeren Lichtpunkthöhen gelangen in Straßen mit stärkerem Verkehr, insbesondere in der Innenstadt und zum Teil auch auf Parkplätzen zur Aufstellung. (…)«.

Kriegsbedingt kommt die weitere Entwicklung, insbesondere die der Ansatzleuchten, zum Erliegen. In den Anfängen der 1950er Jahre werden völlig neue Gas- und elektrische Ansatzleuchten konstruiert. Die damit einhergehenden herausragenden technischen, lichttechnischen und designerischen Leistungen sind in Teil 2, Die Gestaltung von Straßenleuchten (Sabine Röck und Christoph Wagener), LICHT 2 I 2017 am Beispiel Berlins dokumentiert.
Der Peitschenmast mit Ansatzleuchte findet zunächst in West-Berlin und Westdeutschland, später in der DDR (überwiegend elektrisch betrieben) breite Anwendung.
Gegenwärtig scheint der Peitschenmast mit Ansatzleuchte (mit einigen Ausnahme wie z. B. in Berlin und Hamburg) auf dem Rückzug zu sein. Das Design der 1950er Jahre dieses Leuchtentyps verschwindet mehr und mehr aus dem Stadtbild. Somit geht ein Stück Kulturgut der Straßenbeleuchtung unwiederbringlich verloren, die Wahrnehmungsvielfalt nimmt ab. Während bei den Gas-Reihenleuchten in deutschen Städten die Absicht besteht, einige weiter in Betrieb zu lassen, sind elektrische Ansatzleuchten aus dieser Stilepoche (Langfeldleuchten) kaum noch zu finden.
Die Autorinnen schlagen vor, wie bei der Gas-Straßenbeleuchtung, einige elektrische Peitschenmaste mit Langfeldleuchten der 1950er Jahre weiter zu betreiben, um sie für zukünftige Generationen erlebbar zu machen.










1 Im Januar 1937 erfolgte die Umwandlung der Städtischen Gaswerke AG in einen Eigenbetrieb der Stadt unter der Bezeichnung Berliner Städtische Gaswerke (Gasag).
2 Zitiert nach Henry Brechler, in: Das Gas- und Wasserfach, 82. Jg., 1939, Heft 52. S. 51, 52.
Weitere Informationen:
Autorinnen: Bettina Raetzer-Grimm, Blankenfelde-Mahlow, Sabine Röck, Berlin
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