Der Charakter des Lichts
Wie lässt sich die Eigenschaft von hartem und weichem Licht quantitativ beschreiben? Diese Fragestellung ist allen Lichtplanern inhaltlich bekannt. Gelöst wurde dieses Thema in der Praxis bisher durch Erfahrung und Vorstellungskraft, ließ sich aber nur unzureichend mit messbaren Parametern bestimmen und reproduzierbar machen. Einen neuen Lösungsansatz bietet das Verfahren zur Bestimmung der Lichthärte.


Die akademische Betrachtung des Themas »Licht« hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Grund hierfür ist das kontinuierlich wachsende Interesse, die Wirkung von künstlichem und natürlichem Licht besser zu verstehen und gezielt planen zu können. In Deutschland ist auf dem Gebiet der Lichttechnik u.a. die TU Ilmenau und das KIT Karlsruhe zu nennen. Im Bereich der Untersuchung der Lichtwirkung ist u.a. die TU Berlin mit dem Fachgebiet der Lichttechnik sehr aktiv. Im Bereich der Lichtgestaltung (Lichtplanung in der Architektur) haben die Hochschule in Wismar (Masterstudiengang) und die HAWK in Hildesheim mit dem grundständigen Studiengang Lighting Design eine gewichtige Funktion in der Weiterentwicklung des Wissens um das Thema Licht.

Den Charakter des Lichts messbar machen
Viele Lichtplaner arbeiten täglich mit einem Medium, das sie in seiner physikalischen Natur kaum oder allenfalls nur im Ansatz verstehen. Alle eint aber das Verständnis für die visuelle Wirkung, den Eindruck, den ein geplantes Licht vermittelt. Um die gestaltende Wirkung von Licht beschreiben und erfassen zu können, werden im Stand der Technik einige lichttechnische Parameter wie Beleuchtungsstärke, Leuchtdichte, Kontrastverhältnisse und Blendung beschrieben. Eine maßgebliche Größe ist in der Vergangenheit noch nicht benannt worden: der Härtegrad. Der Härtegrad des Lichts (HgF) beschreibt das Verhältnis von diffusen zu gerichteten Lichtanteilen einer Lichtsituation.
Wir kennen alle die unterschiedliche Wirkung und emotionale Bewertung von klarem Sonnenlicht (gerichtet) und einer bewölkten Tageslichtstimmung (diffuses Licht). In der Planung werden diese Eigenschaften derzeit gemäß der jeweiligen persönlichen Erfahrung eingesetzt. Es fehlte bisher eine Möglichkeit, diesen wichtigen Parameter technisch zu beschreiben und somit eine Reproduzierbarkeit einer Lichtsituation herbeizuführen. Darüber hinaus war es bisher nicht möglich, die visuellen und physiologischen Auswirkungen erschöpfend empirisch untersuchen zu können.
Das Verfahren zur Bestimmung der Lichthärte
Mit dem 2019 von Felsch Lighting Design zum europäischen Patent angemeldeten Verfahren können wir den Wert der Lichthärte (HgF) bestimmen. Zu diesem Zweck wird auf einer Projektionsfläche (CCD Chip) ein Normschatten erzeugt. Das entstehende Schattenbild wird digital ausgewertet. Durch die Analyse des Verhältnisses der vollständig belichteten Fläche zum Halbschatten und zum Kernschatten kann der HgF ermittelt werden. Je räumlich kleiner der Übergang von Halb- zu Kernschatten ist, umso steiler fällt der Graph aus. Bei annähernd 90° Steigung des Graphen (entspricht HgF = 100 %) liegt fast vollständig gerichtetes Licht vor. Je weicher (diffuser) das Licht wird, umso breiter wird der Halbschatten und die Steigung des Graphen flacher. Bei annähernd 180° (entspricht HgF = 0 %) herrscht fast vollständig diffuses Licht vor.
Ein Lichtplaner kann mit den ermittelten Werten erstmals die erzielte oder geplante Lichtsituation technisch eindeutig und somit vollständiger als bisher beschreiben und damit reproduzierbar machen. Das Wissen und die Erforschung der HgF-Effekte werden in Zukunft den zielgerichteten und bewussten Einsatz dieser Lichtgröße ermöglichen.
HÄRTEGRAD DES LICHTS (HgF)
• neue lichttechnische Größe
• wird angegeben in Prozent
• 100 % bedeutet vollständig gerichtetes Licht
• 0 % beschreibt vollständig diffuses Licht
• die physikalische Größe ist lm / cm (Lichtstrom / Strecke)
Auswertung des bildgebenden Verfahrens
Gerichtetes Licht
Der HgF wird in Prozent (%) angegeben und durch ein bildgebendes Verfahren ermittelt. Hier ist das Schattenbild eines stark gerichteten Lichts dargestellt. Diese Lichtsituation entspricht einem HgF von ca. 90 %. Die Steigung des Graphen nähert sich 82°. Das Verhältnis von Steigung zu Prozent (HgF) entspricht ca. 1° zu 1,11 % HgF.


Diffuses Licht
Bei diffusen Lichtverhältnissen arbeitet das Verfahren nach den gleichen Parametern, wie zuvor für das gerichtete Licht beschrieben. Dieses teildiffuse Licht ergibt einen HgF von ca. 60 %. Die Steigung des Graphen nähert sich 55° an.


Körperwiedergabe durch hartes oder weiches Licht
Hartes Licht erzeugt harte Schatten. Der räumliche Abstand von einer voll beleuchteten Fläche zu einem Kernschatten ist sehr kurz. Es entsteht hoher Kontrast auf sehr engem Raum. Weiches Licht erzeugt geringere Kontraste. Der Übergang von voll belichteten Flächen zu Kernschatten wird länger und somit als Verlauf wahrgenommen. Der HgF sinkt von hart zu weich.
Üblicherweise kommen beide Extreme in der Kunst- und Tageslichtplanung selten vor. Ziel ist es, die evolutionär geprägte Erwartung des visuellen Wahrnehmunssystems der meisten Menschen an die Lichtsituation zu verstehen. Erst dann können wir in der Planung darauf Rücksicht nehmen und diese Erwartung erfüllen, oder in besonders inszenierten Situationen entgegen der Erwartung gestalten.
An diesen Bildern lässt sich die Auswirkung der Kontrastwahrnehmung auf die Wahrnehmung der Objektform und der Oberflächeneigenschaften sehr gut ablesen. Diese Kriterien sind es, die neben bspw. angemessener Beleuchtungsstärke und Entblendung die Qualität einer Beleuchtung ausmacht. Mit einem messbaren HgF-Wert können die jeweiligen Lichthärten zuverlässig reproduziert werden.



»Aus dem Zusammenspiel von Licht und Schatten entsteht der Kontrast, in dem die Aussage zum Vorschein kommt.«
Anwendungsbeispiel: NGG
Aufwertung des Arbeitsumfeldes bei der Gewerkschaft Nahrung, Gaststätten und Genussmittel




Die Gewerkschaft NGG aus Hamburg kann auf eine mittlerweile 155-jährige Geschichte zurückblicken. Als älteste Interessenvertretung in Deutschland vertritt sie derzeit ca. 220.000 Mitglieder verschiedener Branchen. Das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter liegt der NGG besonders am Herzen. Aus diesem Grund ist für die Lichtgestaltung das Ingenieurbüro Felsch Lighting Design GmbH mit der Entwicklung einer Beleuchtungslösung beauftragt worden, die über den heutigen Standard der Bürobeleuchtung hinausgeht, jedoch kostenneutral realisierbar ist. Ein solcher Gestaltungsansatz wird »Human-Centered Design«, HCD, oder nur auf die Beleuchtung bezogen, HCL, »Human Centric Lighting«, genannt.
Im Stand der Technik umfasst dies die Veränderung der Helligkeit (Leuchtdichte / Beleuchtungsstärke) und der Farbtemperatur einer Leuchte. Für uns als Planer bedeutet es, möglichst viele Aspekte der visuellen Wahrnehmung in die Konzeption einzubinden. Allen voran ist das der Charakter des Lichts, ob es weich oder hart ist. Dann ist die Auswahl der beleuchteten Oberflächen für die Wahrnehmung wichtig. Zudem sind Zonierungen und Kontraste für eine gelungene Lichtplanung von Bedeutung. Da es sich um Arbeitsplätze handelt, muss die Gestaltung auch den Anforderungen der ASR und der DIN genügen.
Bei dem Beleuchtungskonzept für die NGG haben die Mitarbeiter die Möglichkeit, den Ort des führenden Helligkeitsschwerpunktes im Raum zu verändern. Sie können Wandflächen gegenüber ihrer Sitzposition individuell beleuchten und die eigene Arbeitsplatzbeleuchtung in Intensität und Härtegrad steuern. Das ist ein Novum in der Büroarbeitsplatzbeleuchtung.
Aus den Gesprächen mit Mitarbeitern der NGG konnten wir eine extrem hohe Nutzerzufriedenheit der Arbeitnehmer mit der neuen Lichtsituation erfahren. Die Gewöhnung an die individuellen Einstellungsmöglichkeiten und die aktive Nutzung erfolgte bei den meisten Befragten innerhalb der ersten Woche. Inzwischen ist die Nutzung der flexiblen Beleuchtungsmöglichkeiten zu einem selbstverständlichen Teil der täglichen Büroarbeit geworden.
Für uns als Planer ist es eines der höchsten Ziele, dass die geplante und installierte Beleuchtungsanlage in die selbstverständliche Nutzung übergeht. Die Beleuchtung sollte kein »Thema« unter den Beschäftigten sein. Uns motivieren diese positiven Erfahrungen, das Thema Lichthärtemessung und dynamische Arbeitsplatzbeleuchtung weiter auszubauen. In Kürze wird ein weiteres nach diesem Gestaltungsansatz geplantes Projekt in der Hamburger Speicherstadt (UNESCO Weltkulturerbe) umgesetzt.



Der Nutzen der Lichthärte-Messung
Die Einführung der lichttechnischen Größe Lichthärte (HgF) ermöglicht es, zukünftige Beleuchtungssituationen gezielter und erfolgreicher planen zu können. Gerade der zunehmende Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) in der Lichtplanung macht eine erweiterte qualitative Beschreibung von Lichtsituationen mittels quantitativer Größen unabdingbar. Ein zweiter wichtiger Aspekt der für die Etablierung des HgF spricht, ist die qualitative Analyse bereits vorhandener Lichtsituationen. Mit diesen Analysen und zusätzlichen exemplarischen Mock-Ups (Forschungsarbeiten) lassen sich die visuellen Wirkungen von Licht genauer erforschen und die psychologische Wirkung einer Planung besser vorhersagen.



Weitere Informationen:
Autor: Markus Felsch, Felsch Lighting Design GmbH, Hamburg, www.felsch.de
Co-Autorin: Clarissa Borgstädt / Master of Arts (M.A.)
Whitepaper: https://url.rpv.media/3jw
Fotos und Grafiken: Aufmacher: shutterstock, alle anderen: Markus Felsch