BIM und Automatisierung
Anhand persönlicher Eindrücke beschreibt unser Autor Robert Heinze, wie die Digitalisierung den Entwurfsprozess, die Gestaltung und das Design verändert hat und verändern wird und welche Grenzen er in der Künstlichen Intelligenz sieht.
Digitalisierung
Seit Jahrzehnten findet eine Digitalisierung rund um das Bauwerk statt. Vom Konzept, über die Planung bis zur Wartung. BIM ist da nur das derzeitige Kapitel in der Geschichte. CAD war auch schon ein umfassender und teils emotionaler Wechsel von Papier auf Bildschirm. Dieser Kulturwandel hatte einen Einfluss auf die Planungsprozesse, Arbeitsweisen, Kosten und sogar auf die Bauwerksgestaltung. Ob immer zum Besseren ist eine Frage der Perspektive. Auf jeden Fall wurde die Planung transparenter und deutlich effizienter. BIM geht diesen Weg konsequent weiter. Aus CAD-Vektoren werden Objekte mit Merkmalen. Mehr Informationen und mehr Strukturen auf weniger Platz in weniger Zeit. Weil es geht, weil es den Speicher und die Bandbreite gibt. Auf mich wirkte der BIM-Hype in den frühen 2010er Jahren wie eine vorauseilende Technik, der die Anwendung erst noch folgen musste. Was sie ein Stück weit bisher auch tat. Vielleicht muss nicht immer aus einem Anwendungsbedürfnis ein Werkzeug folgen. Besonders bei großen disruptiven Änderungen ist ein neues Werkzeug bzw. eine neue Technologie zuerst da und definiert seine neuen Anwendungen. Der Anwender weiß noch gar nicht, was alles möglich ist und erschließt sich die neuen Möglichkeiten anschließend.
Was sind die Vorteile und Nachteile der Digitalisierung? Der Transport und die Kommunikation bzw. Kollaboration sind mit einer digitalen Planung deutlich leichter, schneller und globaler. Die Planung ist schneller verändert und abgestimmt. Aber auch schneller falsch und missverstanden. Das digitale Bauwerk im BIM-Stand ist schnell in Materiallisten und Kalkulationen aufgedröselt. Die Vernetzung der Fachplanungen ist deutlich leichter. Auch bei der Errichtung und Wartung ist ein Bauwerksmodell nützlicher und leichter im Zugriff als eine Palette Papier. Aber wem schreibe ich das? Nur die älteren Semester werden sich an eine Papier-Planung und die Anstrengungen der Mengenermittlung, Flächenermittlung oder den Stress bei allen Änderungen erinnern. Mein Opa hatte noch mit Zeichenbrett, Bleistift und Tusche entworfen. Als ich um das Millennium studierte war Planung schon in CAD, Mengen wurden mit Blöcken und Flächen mit Polylinien ermittelt. BIM ist heute in fast allen baurelevanten Studiengängen enthalten. Nicht nur in der Bauinformatik.

Automatisierung
Ein weiterer, entscheidender Grund für eine Digitalisierung ist die Möglichkeit der Automatisierung. Nur was digital existiert, kann von Algorithmen, Skripten und Applikationen verstanden und genutzt werden. Wenn Teile einer Planung oder einer Gestaltung mit KI automatisiert werden, führt dies zu einer erheblichen Effizienz- und Qualitätssteigerung. In der Theorie ist fast alles in einer Bauplanung automatisierbar. Fast alle Ingenieurs-Prozesse könnten theoretisch von Maschinen ausgeführt werden, sinnvollerweise repetitive Arbeiten und nicht, was den meisten auch Spaß macht und wo menschliche Entscheidungen benötigt werden. Prozessuales, Rechnerisches und Normatives muss zukünftig keiner mehr von Hand machen (Stift und Maus). Automatisierung ist ein Werkzeug in der Planung, welches mit BIM kommen wird und die nächste emotionale Kulturrevolution in der Bauwerksplanung auslösen wird. Es wird die Arbeitsweisen, Kosten und möglicherweise auch die Architektur verändern. Ob zum Besseren? Keine Ahnung; richtig eingesetzt vermutlich schon.
Ein aktueller Trend nach Gartner® ist dieses Jahr die Hyper-Automatisierung. Also die Automatisierung der Automatisierung. Dabei werden so viel wie mögliche Geschäfts-Prozesse in ERP, CRM, PIM, etc. kontinuierlich überwacht und mögliche Automatisierungen vorgeschlagen. Eine nahezu vollständige Digitalisierung ist dafür Bedingung. Kurz gesagt, wenn etwas regelmäßig und gleich abläuft, kann man es automatisieren. Das würde auch gut im Planungs- und BIM-Bereich funktionieren.
BIM-Automatisierung
Mit BIM-Autorensystemen haben sich neue Möglichkeiten auch für Skripte und Programmierschnittstellen eröffnet. So kann das Bauwerksmodell von einem Programm ausgelesen, verändert und erweitert werden. Mit Anwendungen, wie z. B. Dynamo oder Grasshopper können Objekte in Revit oder ArchiCAD (via Rhino) ferngesteuert und parametrisiert werden. Abhängigkeiten von internen und externen Parametern können visuell über Knoten und deren Verknüpfungen programmiert werden; auch mit wenig Programmierkenntnissen. In Vectorworks gibt es direkt eine visuelle Programmierung ohne externes Zusatzprogramm. Einige Architekten nutzen dies für computerisierte Strukturentwürfe, die mathematisch, organisch und orts-optimiert sind. So etwas von Hand zu erstellen, selbst im Computer, wäre eine enorme Fleißarbeit. Dadurch werden Städte mit wenig Arbeit um großartige organische Fassaden und Baukörper bereichert. Diese Art der Automatisierung ist eine Erweiterung der Werkzeuge, welche dem Gestalter schon jetzt zur Verfügung stehen. Komplexe Werkzeuge werden für komplexe Aufgaben benötigt. Aus Erfahrung kann ich hier eine Analogie zur Eventbeleuchtung und zu Lichtstellkonsolen sehen. Wenn hunderte Scheinwerfer mit tausenden Optionen in Echtzeit bzw. Timecode gesteuert werden müssen, braucht man statt hundert Händen auf Reglern ein komplexes Lichtpult mit Makros und Programmierlogik. Diese komplexen Werkzeuge erweitern die Kreativität und verringern sie nicht. Natürlich entsteht Design im Kopf. Mit jedem Werkzeug kommt man auf mehr und neue Ideen. Und die Ideen können einfacher und transparenter beschreiben und vor allem schneller umgesetzt werden.
Autodesk spielt schon seit Jahren mit Konzepten eines generativen Designs in der Bauteil- und Bauwerks-Gestaltung nach optimierten Anwendungsparametern. Hier wurden zum Beispiel Stützkomponenten mit einer definierten Last nach einem minimalen Materialeinsatz optimiert. Die optimalen Komponenten sahen dabei recht eigenwillig und organisch aus; kamen aber mit weniger Material aus.

Automatisierung der Lichtplanung
Lichtplanung muss zunächst etwas differenziert betrachtet werden. Es finden je nach Objekt, Aufgabe und Planer ganz verschiedene Tätigkeiten und Prozesse statt. Lichtplanung ist, grob zusammengefasst, das Beschreiben der richtigen Leuchten an den richtigen Orten in der richtigen Anzahl, in den richtigen Einstellungen für eine passende Anwendung mit der Aussage einer Licht-Situation bzw. -Wirkung. Was richtig ist, entscheidet der Planer nach bestenfalls nachvollziehbaren Grundlagen. Der Planer zoniert und definiert das richtige Licht in diesen Zonen. Er wählt die richtigen Leuchten aus und achtet bei der Positionierung auch auf mechanische, elektrotechnische und wartungstechnische Aspekte. Dies passiert so auf Filmsets, Opernbühnen, Fahrradwegen, Baumärkten, Klassenzimmern und Toiletten. Diese kann man, grob, in zwei Hauptbereiche unterteilen: die normative, zahlengetriebene, ingenieurhafte Lichtplanung und die visuelle, kreative, dekorative Lichtgestaltung. Die Lichtplanung bzw. Lichtdimensionierung stützt sich stärker auf Lichtberechnungen, Normen, Technik und numerische lichttechnische Gütemerkmale. Die Lichtgestaltung bzw. das Lichtdesign fokussiert sich auf das Visualisieren, Wahrnehmen und Wirken des beleuchten Objektes mit mehr Kontrast und Dynamik. Beide Bereiche sind zwingend in jeder Planung und in jedem Projekt erforderlich. Eine zu starke Polarisierung auf einer Seite führt zu einem schlechteren Gesamtergebnis. In allen Bereichen und Methoden der Lichtplanung und Gestaltung erleben wir eine starke Digitalisierung. Szenische Beleuchtung, Konzeptentwicklung, Visualisierung, Lichtberechnung, Einordnung von Gütekriterien, Stücklisten, Pläne, etc. – fast alles läuft routiniert in diversen Anwendungen auf Rechnern. Selbst das Skizzieren von ersten Konzeptideen wird von jüngeren Gestaltern im Rechner und nicht auf Papier angegangen. Es hat auch kaum noch ein Planer analoge Fotos seiner Projekte. Werden eigentlich noch Grundrisse für die lichttechnische Konzeption geplottet? Ich habe das zumindest vor rund 10 Jahren noch gesehen.

Für eine Automatisierung braucht es klare Regeln und Ziele. Wenn ein Programm selbst Licht planen soll, muss es wissen, was es erreichen soll. Hier passt die normative Lichtplanung mit seinen definierten Zielwerten gut hinein. Es ist in der normativen Lichtplanung eindeutig, was numerisch erreicht werden soll und in welchen Grenzen. Einige Werte, wie Helligkeit oder Gleichmäßigkeit, sind Minimalanforderungen und andere Kriterien, wie Blendung oder Energieverbrauch sind unter einer bestimmten Grenze zu halten und können nicht klein genug sein. Das Platzieren von Leuchten kann in Koordinaten und Rastern von einem Algorithmus beschrieben und verändert werden. Das alles ist ideal für eine mathematische Optimierung und Machine Learning-Prozesse. Man kann sich das wie einen Regelkreis vorstellen in den Kriterien, wie Leuchtenanzahl, -typen und -positionen variiert und die Ergebnisse einer Lichtberechnung mit den Normen verglichen werden. Dann gibt man dem Regelkreis noch Regel für eine möglichst schnelle Erreichung der Zielwerte mit und lässt diesen iterativ, also rundenbasiert, arbeiten. Grob betrachtet macht das ein Lichtplaner heute genauso von Hand. Der Startwert kann für feste Leuchtentypen mittels Wirkungsgradmethode leicht und schnell berechnet werden. Dies machen viele Lichtplaner mit z. B. »RELUX EasyLux« auch so. Die klaren Vorteile einer Automatisierung liegen in der Skalierbarkeit. Man kann tausende Leuchten auf hunderten Räumen normativ korrekt planen lassen, ohne dabei etwas machen zu müssen. Die Ergebnis-Schar kann dann mit völlig neuen Visualisierungen verglichen werden und die beste Lösung gewählt werden. Wenn viele Leuchten normgerecht und effizient einen Raum bzw. deren Arbeitsplätze ausleuchten können, kann der Anwender Lichtqualitätskriterien aus den Berechnungen oder Merkmale aus den Leuchtendaten für eine Auswahl nutzen. So könnten z. B. auch spektrale Gütemerkmale, Preise oder Lieferzeiten bei der Wahl nützlich sein. Je nach dem, was in den Leuchtendaten vorhanden ist und was dem Anwender wichtig ist. Hier wird das Leuchtendatenformat GLDF mit seinen umfangreichen Möglichkeiten ein nützlicher Baustein sein. Es ist auch möglich, die Auswahl nach festen Kriterien zu automatisieren. Dann muss wirklich gar nichts mehr manuell gemacht werden.
Die Qualität einer Automatisierung kann mit seiner Geschwindigkeit und der Güte der lichttechnischen Lösung beschrieben werden. Mit dem Regelwerk, den Umfang der Zielkriterien, der Optimierungsfunktion und den Abbruchkriterien ist eine Automatisierung auch nur so gut wie seine Schöpfer bzw. derjenigen, die die Lösung trainiert haben. Bevor aber verschiedene Lichtplanungs-Automaten verglichen werden können, muss es erstmal einen geben. Die Firma RELUX arbeitet seit Jahren an einer KI-Lösung für normative Lichtplanung und macht erstaunliche Fortschritte auf diesem Gebiet. So gibt es bereits Prototypen, welche normative Lichtplanung für ein Teil der lichttechnischen Anwendungsgebiete automatisieren können. Es macht Spaß, damit zu arbeiten und die planerischen Erkenntnisse aus einer maschinellen Massenplanung zu begutachten. Zum Beispiel sind die meisten Langfeldleuchten in rechteckigen Räumen am effizientesten, wenn sie 45° auf der z-Achse gedreht sind. Dieser Sachverhalt war komplett neu für mich; ist aber nachvollziehbar, wenn man sich die LVKs und den Raum ansieht.

Grenzen der Automatisierung
Derzeit sehe ich eine klare Grenze der Automatisierung in der Gestaltung von Architektur und Licht. Automatisierung kann auch hier als Werkzeug eingesetzt werden. Zum Beispiel um viele Roh-Entwürfe generieren zu lassen. Aber es braucht zwingend einen Gestalter, um kreativ und konzeptionell ein Bild bzw. eine Atmosphäre und gewünschte Wirkung zu erschaffen. Und auch um wirklich Neues zu erschaffen. Die Wahrnehmung von Licht ist zudem schwer in seiner Gesamtheit zu digitalisieren. Alles was kreativ ist, braucht einen menschlichen Geist als Ursprung. Kunst kommt auch immer vom Menschen. Zumindest steckt das im Namen: künstlich. Ist es Kunst, wenn Maschinen, die vom Menschen geschaffen wurden, auch wieder Kunst erzeugen? Lassen wir das mal offen. Rein technisch ist es heute möglich, dass Programme Bilder malen, Musik komponieren und Geschichten schreiben. Die Dadaisten hätten viel Spaß mit KI gehabt. Was mit AI heute alles möglich ist, zeigt auch sehr beeindruckend OpenAI’s DALL-E 2, ein AI-Modul, welches Texte zu Bildern wandelt. Ein Segen und Fluch für alle surrealistischen Maler, Grafikdesigner und Stock Medien-Anbieter. Auf jeden Fall ein Game Changer in der grafischen Gestaltung.
Ganz sicher kann eine KI auch ein schönes Lichtdesign erstellen, wenn es vorher mit vielen schönen Lichtdesigns trainiert wurde. Dazu muss aber jemand klassifizieren, was schönes Lichtdesign ist. Das ist bestimmt auch unterhaltsam und vielleicht schon für einige Anwendungen von Lichtdesign völlig ausreichend. Aber es fehlt den KI-Kunstwerken immer an Seele und einer gesellschaftlichen Verortung bzw. Auseinandersetzung; außer mit der KI an sich. Daher wage ich die Prognose, dass gutes und kreatives Lichtdesgin auch in einer KI-Ära immer noch von menschlichen Designern kommen wird. Diese werden aber anders und mit besseren Werkzeugen arbeiten können. Spannende Zeiten.
Weitere Informationen:
Autor: Robert Heinze, www.relux.com
Fotos: Sofern nicht anders angegeben: Robert Heinze/Relux